Rattenfängerisch, melodienselig, kernig-vital

Vokalmusik neu auf CD

Ildebrando d'Arcangelo, längst weltweit gefragt mit seinen Mozart-Rollen, präsentiert seine liebsten Mozart-Arien auf CD; in Großbritannien wird der Liederkomponist Wilhelm Kienzl wiederentdeckt; aus dem Wien des Jahres 1964 kommt ein lange "verschollener" Live-Mitschnitt von Mahlers "Lied von der Erde" mit dem fabelhaften Fritz Wunderlich.

Ildebrando d'Arcangelo singt Mozart

Eben war Ildebrando d'Arcangelo bei den Salzburger Festspielen gemeinsam mit Anna Netrebko (und unter der Leitung von Antonio Pappano) Teil des Solistenquartetts bei Rossinis "Stabat Mater". Die Salzburger Mozart-Opern-Besetzungen kommen zwar diesen Sommer ohne den italienischen Bassbariton aus, der Don Giovanni und Leporello singt, Figaro und Graf Almaviva, Guglielmo und Don Alfonso, aber dank einer neuen Solo-CD bei der "Deutschen Grammophon" ist d'Arcangelo dennoch mit Mozart präsent.

Ildebrando d'Arcangelo möchte bald zwischen Mozart, Donizetti und (neu für ihn) Verdi wechseln, so wie bisher - stets mit männlich-direktem Zugriff, auch auf dem im Juni veröffentlichten Recital - vom Diener zum Herren und wieder zurück bei Wolfgang Amadeus Mozart. Begleitet vom Orchester des Teatro Regio di Torino unter der Leitung des dort als Chef amtierenden Gianandrea Noseda mischt d'Arcangelo hier die bekanntesten Solonummern seiner angestammten Mozart-Partien mit Ausgefallenem, wie es bei den Salzburger Mozart-Matineen seinen Platz hätte.

Höllenfahrts-Furor

So weist die Einlagearie "Mentre ti lascio, o figlia" (mit väterlichem Abschied von der Tochter) inhaltlich schon auf Verdi voraus, während die buffoneske Konzertarie "Per questa bella mano", geschrieben für den ersten Sarastro und einen virtuosen Kontrabass-Solisten im Orchester, spätesten Mozart zeigt; die Szene "Cosi dunque tradicsi; Aspri rimorsi atroci" gibt Ildebrando d'Arcangelo Gelegenheit, im erregten Höllenfahrts-Furor à la Don Juan aufzutrumpfen.

Ildebrando d'Arcangelo wird es aushalten, wenn ihn Medien, die mit Musik weniger am Hut haben, als den "Antonio Banderas der Oper" bezeichnen: Das Äußere zählt, wer heute mitspielen will im Opernzirkus, dort wo die Luft dünn wird, leistet seinen Tribut. Dank der willkommenen musikalischen "Seitenblicke" kann Ildebrando d'Arcangelos neue Mozart-Solo-CD auch ohne Foto-Garnierung bestehen. Die kernige Vitalität im Ton, die stimmliche Beweglichkeit lässt d'Arcangelo nie im Stich. Ist es vermessen, sich für die nächste Aufgabe im Plattenstudio dennoch etwas mehr Abwechslungswillen im Musikalischen und etwas mehr "Spiel" mit den Worten zu wünschen?

Wilhelm Kienzl wird wiederentdeckt

Ganz großen Repertoirewert verspricht eine Serie, die just das britische Label Chandos in Angriff genommen hat: eine Kompletteinspielung der Lieder von Wilhelm Kienzl, dem "Evangelimann"-Komponisten, der Wagnerianer war, Bayreuth-Besucher, kurz auch Liszt-Schüler, und ein fruchtbarer Lieder-Schreiber, das ganze fast 85 Jahre währende Leben hindurch.

Melodienreich und "dankbar" für alle Beteiligten, auch die Frau oder den Mann am Klavier, präsentieren sich die im "Vol.1" der Kienzl-Edition versammelten Piècen aus den unterschiedlichsten Schaffensperioden; Gefällig-Kantables ist reichhaltiger vertreten als aufgeraute "Ausdruckslieder" (ein paarmal vertont Wilhelm Kienzl Gedichte, die uns mit Musik von Franz Schubert vertraut sind), aber dank des Wechselspiels zwischen Sopran-, Tenor- und Bariton-Kompositionen erlahmt das Ohr nicht.

Preziosen in guter Sängerbesetzung

Christiane Libor, eine "Fidelio"-Lenore, Marschallin und Isolde der Opernbühne, der von Hohenemser und Schwarzenberger Schubertiaden her bekannte Carsten Süss und Jochen Kupfer, zuletzt als Don Giovanni an der Komischen Oper Berlin und der Semperoper Dresden erfolgreich, ergeben ein junges Trio, das auch aus Kienzls Texten etwas "macht".

Schön wär's, wenn das bei uns jemand eingefallen wäre, diese Kienzl-Preziosen in guter Sängerbesetzung der Vergessenheit zu entreißen, aber: es musste der Anstoß aus Großbritannien kommen ... "Vol.2" (und darüber hinaus?) wird hoffentlich noch viel mehr schöne und die Wiederentdeckung lohnende Lieder aus der Feder des speziell mit der Stadt Graz so eng verbundenen Musikers neu ans Tageslicht bringen.

Krips und Wunderlich mit Mahler

Wieviel hat Wilhelm Kienzl mit Gustav Mahler anfangen können? In seiner 1904 in Berlin veröffentlichten autobiographischen Schrift "Aus Kunst und Leben" teilt er aufgeschlossen Eindrücke von Bruckner- und Mahler-Aufführungen seiner Zeit mit. A propos Gustav Mahler: Von Josef Krips dirigiert, ist bei der Witwe, Harrietta Krips, ein Band einer Aufführung des "Lieds von der Erde" aufgetaucht, das der Österreichische Rundfunk nicht mehr besaß - Wien 1964, Musikverein, Wiener Symphoniker, eine Aufführung in der Tenor-plus-Bariton-Version des Werkes, die Fritz Wunderlich und Dietrich Fischer-Dieskau mehrfach gemeinsam aufgeführt haben, nach übereinstimmendem Bekunden aber nie gelungener als an diesem Abend.

Der Live-Mitschnitt wird in Wahrheit die Studioeinspielung in der Kombination Wunderlich/Christa Ludwig/Otto Klemperer nicht verdrängen, aber er ist tatsächlich ein ganz spezielles Tondokument, des wie stets rattenfängerisch die Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Tenors wegen, aber auch, weil Josef Krips Mahler vollends klischeefrei musizieren lässt. Sicher eine der Aufnahme-Ausgrabungen des Jahres 2011 und aller Preise würdig, die die CD der Deutschen Grammophon noch einheimsen wird.

Service

Ildebrando d'Arcangelo, "Mozart", Orchestra del Teatro Regio di Torino, Gianandrea Noseda, DG

Wilhelm Kienzl, "Lieder, Vol. 1", Christiane Libor, Sopran; Carsten Süss, Tenor; Jochen Kupfer, Bariton; Stacey Bartsch, Klavier, Chandos

Gustav Mahler, "Das Lied von der Erde", Fritz Wunderlich, Tenor; Dietrich Fischer-Dieskau, Bariton; Wiener Symphoniker, Josef Krips, DG

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