50 Jahre E-Type und R4

Der Lange und die Kleine

Jerry Cotton fuhr E-Type. Adolf Kottan fuhr R4. Der FBI-Agent saß im Auto mit kiloweise Chrom und obszöner Motorhaube. Der Wiener Inspektor, den es nicht gibt, hockte im dünnwandigen Kleinwagen mit Schiebefenstern und Revolverschaltung. Jetzt könnte alles klar sein, doch so einfach ist das nicht.

Cotton und Kottan sind Satiren, der eine eher in der Nebensache, der andere hauptamtlich. Jaguar E-Type und Renault 4 waren ernst gemeint. Beide werden heuer 50 Jahre alt. Unterschiedlicher können Autos nicht sein.

Kindheitstraum und Kindheitserinnerung

Ein E-Type ist ein Kindheitstraum. Wer in den 1960er und 1970er Jahren aufwuchs und auch nur das leiseste Interesse an vier Rädern hegte, dem war der Jaguar ein Begriff. Er wirkte geduckt, zum Sprung bereit wie die Katze auf seinem Emblem, die Zähne leicht gefletscht. Es war eine Geschwindigkeitsmaschine, in die auch zwei Menschen passten. Für die damalige Zeit aberwitzige 269 PS, später sogar 276 PS steckten unter der Haube. Eine Haube, die ein gutes Drittel des Wagens ausmachte. Ein Auto wie ein Geschlechtsmerkmal. Einen E-Type, war man sich sicher, werde man einmal besitzen, ganz bestimmt.

Der R4 dagegen ist eine Kindheitserinnerung. Vom zukünftigen Jaguar träumte man auf der Rückbank eines Renault 4. Vorne saß ein junges Akademikerpaar, auf dem Boden lag eine Tigerente aus Holz, am Heck stand "Atomkraft nein danke". Er war ein schnörkelloses Auto, von Renault als autobahntaugliche Antwort auf Citroens Ente konzipiert. Vor allem praktisch sollte er sein, innen groß und außen klein. Der R4 war bei der französischen Polizei beliebt, es soll das einzige Auto gewesen sein, in dem die Beamten ihr "Képi" nicht absetzen mussten. Für Vortrieb sorgte ein motorisches Minimum. 26 PS, ein Zehntel der Leistung eines E-Type, aus zierlichen 800 Kubikzentimetern Hubraum. Später wurden daraus etwas mehr als ein Liter und 34 PS.

"Das begehrteste Auto der Welt"

Der Jaguar wurde im März 1961 in Genf vorgestellt, sein Auftritt geriet schon vor der Messeeröffnung zum Happening. Vom E-Type waren damals gerade erst fünf Exemplare gebaut worden, zwei davon sollten in der Schweiz ins Rampenlicht. Eines der Autos wurde so knapp vor Messebeginn in publikumstauglichen Zustand versetzt, dass es auf eigener Achse nonstop vom Firmensitz in Coventry nach Genf überstellt wurde. Die Zeit soll gerade noch für eine schnelle Politur gereicht haben.

Die Daten zu Geschwindigkeit und Beschleunigung des neues Jaguar waren schnell in aller Munde. Bald darauf fuhren Autotester der Zeitschrift "The Autocar" damit schneller als 150 Meilen in der Stunde, mehr als 241 Stundenkilometer. Die britische Presse war aus dem Häuschen. "Dieses Auto zu lenken ist mehr Fliegen als Fahren", meinte der "Daily Telegraph". "Bumm! Und schon fährst du 150 Sachen. Der neue Jaguar kann die ganze Welt schlagen!", grölte der "Daily Express". "So schnell, dass man ihn nur von hinten zu sehen bekommen wird", prophezeite der "Daily Mirror". "Das begehrteste Auto der Welt", war sich die "Daily Mail" sicher.

Ein männlicheres Vehikel als der E-Type ist kaum vorstellbar. Nicht nur wegen der langen Motorhaube, die wohlwollend als erotisch-phallisch und, etwas abschätziger, als Verlängerung beschrieben wurde. Zielgruppe waren Gentleman-Racer im Anzug und mit ledernen Fahrerhandschuhen. Frauen waren als beifahrende Dekoration erlaubt. Der Katalog für Zusatzausstattungen gab den Ton an: Auf vier Bildern wurden die Vorzüge einer zusätzlichen Armlehne mit Staufach demonstriert.

Ein Statement automobilen "Verzichts"

Der Renault 4 debütierte fünf Monate später und rund 550 Kilometer nordöstlich im August 1961 auf der Internationalen Autoausstellung in Frankfurt. 50 Jahre später wird der kleine Franzose oft zum Star der Messe gemacht, damals zeigte sich die deutsche Fachpresse jedoch unterkühlt. Die Zeitschrift "Auto Motor und Sport" sagte dem R4 keine guten Chancen auf dem deutschen Markt voraus, auch nicht in einer hübscheren Ausstattungsvariante, denn er sei "eben kein 'richtiges Auto'". Nicht einmal einen "richtigen Kleinwagen" ließen ihn die Autotester sein, der R4 sei "etwas, wofür noch der passende Ausdruck" fehle. Prädikate fielen der Zeitschrift dafür einige ein: "Hoffnungslos unsportlich" und "ganz und gar nicht repräsentativ", immerhin auch "entwaffnend praktisch".

Ein R4 war genauso Familienauto wie Kleinlaster. Die hinteren Türen waren serienmäßig mit einer Kindersicherung versehen, mit wenigen Handgriffen war die Rückbank ausgebaut. Das Auto führte einige Merkmale ein, die heute in der Serie nicht mehr wegzudenken sind. Die fünfte Tür zum Beispiel, die das Heck über die volle Höhe und Breite öffnet. Frontmotor mit Frontantrieb. Variabler Innenraum. Ebener Ladeboden. Es handelte sich gewissermaßen um den gemeinsamen Vorfahr von Minivan, Lifestyle-Kombi und SUV.

Die Prognose der Fachpresse lag sowieso falsch: Der Renault 4 verkaufte sich bestens im In- und Ausland. Besonders bei Studenten und jungen Familien war der kleine Franzose beliebt, gerne auch als Statement automobilen "Verzichts". Die Produktion begann 1961 in Frankreich und endete 1992 in Kolumbien. Über acht Millionen Fahrzeuge wurden gebaut, mehr schafften nur Fords Model T und Volkswagens Käfer.

Ein Stück Geschichte

Wer sich heute einen der beiden Wagen anschafft, wollte schon immer einen haben oder möchte ein Stück Familiengeschichte wiederbeleben. Beide sind längst Liebhaberautos. Der E-Type ist immer noch selten, der R4 ist es mittlerweile geworden. Das Auto war serienmäßig ebenso praktisch wie rostanfällig. Was R4-Liebhaber/innen als Flugrost bezeichnen, geht in anderen automobilen Szenen als Totalschaden durch. Bilderfunde im Internet lassen darauf schließen, dass die Instandsetzung eines R4 eine komplette Demontage und den Ersatz beinahe des gesamten Blechmaterials bedeutet.

Unter Benzinbrüdern und -schwestern lässt sich die Faszination dennoch nachvollziehen, das Auto ist liebenswert eigensinnig. Der Radstand ist konstruktionsbedingt rechts fünf Zentimeter länger. Die Schaltung, wahlweise Krückstock- oder Revolverschaltung genannt, ist ein Muster an technischer Nachvollziehbarkeit. Eine Form wie keine andere, unverwechselbar schräg, vom Zweck definiert.

Die Faszination des E-Type erklärt sich von selbst: die Marke, die Maschine, der Mythos. Bis 1975 wurde der Sportwagen gebaut, als offener Zweisitzer, Coupé oder 2+2, und er kostete knapp die Hälfte dessen, was für vergleichbare Modelle aus Deutschland oder Italien hingeblättert werden musste. Ein Arme-Leute-Auto war der Jaguar deshalb nicht, und das ist er auch im Alter nicht geworden. Die finanzielle Eintrittsschwelle in das Hobby E-Type ist jedoch vergleichsweise niedrig. Wer selber schrauben kann und will, muss kein Superreicher sein. Viel wichtiger ist eine gewisse Leidensfähigkeit.

service

Wikipedia - Jaguar E-Type
Wikipedia - Renault 4