Trügerische Vertrautheit
Buch über Michael Haneke
Michael Haneke ist der international meistbeachtete österreichische Filmemacher. Haneke hat immer wieder Aufsehen erregt mit seinen kühlen, streng komponierten Arbeiten erregt. Die Literaturwissenschaftlerin Fatima Naqvi – eine in den USA lehrende Österreicherin – hat nun ein instruktives Buch über Michael Haneke und seine Filme vorgelegt: "Trügerische Vertrautheit".
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 18.08.2011
Gewalt ist eines der zentralen Themen in den Filmen Michael Hanekes, die latente, aber auch die manifeste Gewalt in den menschlichen Beziehungen. In ihrem Buch "Trügerische Vertrautheit" unterzieht Fatima Naqvi - sie lehrt an der Rutgers-University in New Jersey - Hanekes Filme einer kritischen Analyse.
Dass Arbeiten wie "Bennys Video" oder "Funny Games", die in die finstersten Abgründe der menschlichen Destruktivität führen, letztlich einem zynischen Kalkül gehorchen, wie manch ein Kritiker behauptet, glaubt Fatima Naqvi nicht:
"'Zynisch' trifft es nicht, ich glaube, es ist ein zutiefst aufklärerisches Anliegen, das Haneke hat", meint Naqvi. "Ich glaube, er würde sich da auf die Seite Thomas Bernhards schlagen, der gesagt hat: 'In der Finsternis wird manches sichtbar.' Genauso würde Haneke behaupten, dass erst, indem man die Brutalität auf eine andere Art und Weise zeigt als im Mainstream-Kino, erst dadurch wird uns vieles bewusst über die Brutalität im Alltag."
Kühl und sparsam
In seiner Pubertäts-Studie "Bennys Video" - gedreht in den frühen 1990ern - zeigt Haneke, wie ein Jugendlicher ein Mädchen mittels Schlachtschuß-Apparat exekutiert und das Ganze mit seiner Videokamera filmt.
"Von seiner Ästhetik her ist Haneke sicherlich ein kühler Filmemacher, mit diesen reduzierten, sparsamen Bildern, diesen reduzierten Kostümen, dieser beschränkten Farbpalette", sagt Naqvi. "Das gibt seinen Filmen etwas Kaltes, Abweisendes. Andererseits gibt es ja in der Kinogeschichte eine lange Tradition des Strengen und Reduzierten, da ist er nicht der Erste, in diese Tradition reiht er sich ein."
Kritik von Karl-Markus Gauß
Bei aller Bewunderung für die ästhetischen Qualitäten der Haneke'schen Arbeiten: Kritiker wie Karl-Markus Gauß diagnostizieren eine "ahistorische" Tendenz in Hanekes Filmen. Am Beispiel von "Funny Games" wirft Gauß dem Filmemacher vor:
Zitat
Wie man nichts über die Gewalt erfährt, weil sie reine Gegenwart und Zeitlosigkeit bleibt, erfährt man auch fast nichts über das Land, in dem diese Geschichte spielt, nichts über Täter wie Opfer und kaum etwas über die Zeit, die doch die unsere ist.
Den Vorwurf des Ahistorischen, den Karl-Markus Gauß da erhebt, lässt Fatima Naqvi nicht gelten: "Ich glaube, diese Kritiker versäumen damit einen zentralen Punkt bei Haneke: Gerade diese Ahistorizität ist ja etwas, das unseren historischen Moment charakterisiert. Also, unser Leben an den Nicht-Orten des Westens, wie sie Marc Augé beschrieben hat, das ist etwas, das Haneke auch einfängt, dieses Unspezifische, Ungeschichtliche, Verwaschene. Und wie wir uns in diesem Verwaschenen zurechtfinden, darum geht's ihm."
Augenmerk auf frühe Filme
Haneke-Filme wie "Funny Games", "Die Klavierspielerin" und "Das weiße Band" - im Übrigen alles andere als ein ahistorischer Film - diese Filme haben den cineastischen Diskurs der letzten Jahre maßgeblich mitbestimmt.
Fatima Naqvi richtet in ihrer bemerkenswerten Studie ihr Interesse vor allem auch auf die frühen Arbeiten Hanekes, auf die Ingeborg-Bachmann-Verfilmung "Drei Wege zum See" aus dem Jahr 1976 etwa, oder die Peter-Rosei-Adaption "Wer war Edgar Allan?"
"Mir ging's darum, mein Augenmerk auf die frühen Filme von Haneke zu richten, auch seine Fernseharbeiten waren ganz wichtig für mich", sagt Naqvi. "Und die konnte ich im Grunde genommen verbinden, indem ich auf seine Literaturverfilmungen geachtet habe. Und mir war es wichtig zu zeigen, dass Haneke sich eigentlich in eine österreichische Tradition einreiht mit seinen Literaturverfilmungen, und dass viele von diesen Motiven dann auch in seinen nicht literarisch basierten Werken zu finden sind."
"Es geht ans Eingemachte"
In Hanekes Fernsehfilmen aus den 1970er und 1980er Jahren kristallisiere sich bereits seine reduktionistische Filmsprache und sein Interesse am Fragment heraus, diagnostiziert Fatima Naqvi. Und noch eines sei wichtig: In den klaustrophobischen Versuchsanordnungen vieler Filme reflektiere Haneke das Künstliche, das medial Inszenierte dieser Filme immer mit.
"Er lenkt unser Interesse immer wieder auf das Gemachte", so Naqvi. "Es gibt kein Außerhalb dieses Gemachten, wir sind immer schon im Gemachten drin. Und es geht natürlich ans Eingemachte, und dadurch wird's manchmal sehr, sehr unbequem."
Fatima Naqvis Buch über Michael Haneke ist keine leichte Lektüre. Der Band richtet sich vor allem an ein kulturwissenschaftlich und filmtheoretisch interessiertes Publikum, dem Naqvi erhellende, bisweilen verblüffende Einsichten bietet. Die bekennende Haneke-Bewunderin Elfriede Jelinek hat ein Vorwort zu dem Band beigesteuert.
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Fatima Naqvi, "Trügerische Vertrautheit. Filme von Michael Haneke", Synema-Verlag