Thomas Glavinic auf Wallfahrt

Unterwegs im Namen des Herrn

Spätestens seit seinem Roman "Die Arbeit der Nacht", 2006, wird Thomas Glavinic zu den Stars des heimischen Literaturbetriebs gezählt. Seit damals sind zwei weitere Romane erschienen - "Das Leben der Wünsche" und "Lisa" - und die Satire "Das bin doch ich". Böse und witzig kommt auch Glavinics jüngstes Buch daher: "Unterwegs im Namen des Herrn" ist die Reportage einer Wallfahrt.

Kultur aktuell, 26.08.2011

Medjugorie ist ein kleiner Ort in Bosnien-Herzegowina. Seit dem 24. Juni 1981 soll dort täglich die Gottesmutter erscheinen und Botschaften verkünden, Botschaften von Frieden, Glauben, Umkehr, Gebet, Fasten und Buße. Die römisch-katholische Kirche hat diese Erscheinungen nicht anerkannt. Trotzdem machen sich jedes Jahr mehr als eine Million Pilger auf, um den Ort zu besuchen. Einer von ihnen war Thomas Glavinic.

"Ich bin kein sehr religiöser Mensch - es soll jeder glauben, woran er will", sagt Glavinic. Er wollte sich in seinem Buch über nichts lustig machen, sondern dachte sich: "schau mal, was passiert, wenn man an einen Ort fährt, den viele Leute besuchen in einem festen Glauben und in der Überzeugung, dass sie da ein spirituelles Erlebnis haben werden." Es hätte ihn auch nicht gestört, wenn er als "geläuterter Christ" zurückgekommen wäre. So viel gleich vorweg: Das ist nicht passiert.

Rosenkranz ohne Ende

Begonnen hat die Reise an einem heißen Sommertag um 6:00 Uhr früh: Thomas Glavinic in einer Gruppe strenggläubiger Katholiken in einem Reisebus.

"Einfach war's nicht, bei 40° von Gebeten und Betenden umzingelt zu sein", sagt Glavinic. "14 Stunden Schulungsvideos und Gebete und andere soziale Auffälligkeiten zu erleben, ist schon zermürbend." Worauf er sich eingelassen hatte, das sei ihm an der slowenischen Grenze bewusst geworden, erzählt Thomas Glavinic:

"Es fing damit an, dass durch ganz Slowenien durchgebetet worden ist im Bus. Das muss man sich einmal vorstellen, man bereist ein Land, man reist ein und es heißt: Nun werden wir alle Rosenkranz beten. Da ahnt man ja noch nichts Böses, aber wenn man merkt, es wird gebetet bis zum Ende von Slowenien - so klein ist ja Slowenien auch nicht -, da kann man sich vorstellen, was das bedeutet für jemanden, der einfach nur drinnen sitzt und nicht weiß, wie ein Rosenkranz überhaupt geht."

Keine Rede von "christlichen Tugenden"

Erschüttert war Thomas Glavinic nicht nur über die organisierte Abzocke von Pilgertouristen, sondern auch über die - wie er sagt - "Leidensatmosphäre": "Wie menschenfeindlich das eigentlich alles ist, was hier passiert, wie wenig hier an Liebe gedacht wird oder an Zuneigung anderen Menschen gegenüber, an Brüderlichkeit oder Schwesterlichkeit; wie wenig es hier um das geht, was ich immer als christliche Tugenden verstanden habe, und wie sehr es eigentlich nur darum geht, den Leuten Angst zu machen, den Leuten ein schlechtes Gewissen einzujagen und die Menschen dazu zu bringen, dass sie sich erst einmal in den Staub werfen und 'danke' sagen, wenn sie wenigstens mal den Kopf heben dürfen."

Mit viel Alkohol und Medikamenten begegnet Thomas Glavinic dem bizarren Treiben, bevor er schließlich die Flucht antritt. In der literarischen Verarbeitung des Erlebten zeigt sich Glavinic einmal mehr als "Meister des lakonischen Irrwitzes", der in grotesken Szenarien sein Talent fürs Komische entfaltet und auch mit Selbstironie nicht spart.

Für einen Romanstoff taugt die Geschichte nicht, erklärt Glavinic, denn "ich möchte, dass der Leser weiß, das ist geschehen, das ist keine Fiktion. Alles, was hier steht, ist auch geschehen."

Textfassung: Ruth Halle

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Thomas Glavinic, "Unterwegs im Namen des Herrn", Hanser Verlag

Hanser - Thomas Glavinic