Viktorianische Satire von William M. Thackeray
Das Buch der Snobs
Was ist ein Snob? Genau definieren kann man diesen Begriff nicht, aber dass wir alle eine gewisse Vorstellung von einem bestimmten - vorzugsweise britischen - Menschentypus dazu haben, verdanken wir dem viktorianischen Schriftsteller William Makepeace Thackeray. Zu seinem 200. Geburtstag wurde sein "Buch der Snobs" erstmals vollständig in deutscher Sprache aufgelegt.
8. April 2017, 21:58
"The Book of Snobs, by One of Themselves" erschien zuerst 1846 bis 1847 als Kolumne in der Satirezeitschrift "Punch", ein Jahr später als Buch. Etwa zeitgleich arbeitete Thackeray an seinen großen Gesellschaftsromanen "Barry Lyndon" und "Vanity Fair" (auf Deutsch: "Jahrmarkt der Eitelkeit"), die ihn international berühmt machten.
Jemand sein, der man nicht ist
Einmal als sachlicher "Snobograf", einmal selbst als Snob, spürt Thackeray im "Buch der Snobs" jener charakterlichen Verbiegung nach, die aus dem Wunsch entsteht, jemand zu sein, der man nicht ist - quer durch alle Schichten der renommiersüchtigen viktorianischen Gesellschaft. Anekdote um Anekdote, ebenso witzig wie geistreich, breitet er ein Panorama menschlicher Schwächen aus - rund um den brennenden Wunsch nach Geltung. Psychologisch scharf richtet er den Blick dabei auf die Opfer seines Spottes, hingebungsvoll genau auf die sie umgebenden Details. So beschreibt er das Hofkostüm einer adeligen Dame:
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Schleppe aus erlesensten Pekingtüchlein, elegant besetzt mit Goldflitter, Stanniol und Aktenschnüren. Leibchen und Unterrock aus himmelblauem Baumwollsamt, besetzt von bouffants und noeuds von Klingelzügen. Brustlatz: eine Semmel. Kopfschmuck: ein Vogelnest mit einem Paradiesvogel über einem schweren Türklopfer aus Messing en ferronnière.
Niemand entkommt Thackeray, er widmet sich den politischen, den militärischen und den geistlichen Snobs, zeichnet Universitäts-, City- und Country-Snobs, führt die geistlose Abendgesellschaften gebende Mittelständlerin ebenso vor wie den von ergebenen Bürgerlichen finanzierten Lord samt livriertem Lakaien, den tumben Offizier, der ungeachtet seiner völligen Unfähigkeit eine glänzende Karriere macht oder den bildungsfernen, von aller ihn umgebenden Schönheit ungerührten aristokratischen Reisenden, der sich durch ganz Europa schnorrt.
Die "yellow press" von damals
Thackeray kennt sich im Snob-Milieu bestens aus, hat er doch selbst seine stattliche Erbschaft in kürzester Zeit mit Glücksspiel, Spekulationen und unsinnigen Investitionen durchgebracht und ist - wie sich das für die britische Oberschichte gehört - schon kurz nach Erlangung der Volljährigkeit völlig ruiniert.
Der Autor nähert sich seinem Gegenstand daher einerseits leidenschaftlich kritisch, andererseits aber nicht ohne Liebe. Er ist eben einer von ihnen, und bezeichnet sich folgerichtig selbstironisch als Mr. Snob. Er schwankt - durchaus bewusst - zwischen Kritik und Liebe zum Objekt der Kritik. Zum Beispiel lässt er sich seitenweise über die Hofpostille, die Vorläuferin der heutigen "yellow press", aus. Sie wird als Quelle des Snobismus, die die Welt in Angebetete und Anbeter teilt, verteufelt. Andererseits dient selbige als Fundgrube von Anekdoten.
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Die einzige Hofpostillengeschichte, die mir je gefallen hat, war die über den König von Spanien, der teilweise geröstet wurde, weil die Zeit zu knapp war, als dass der Premierminister dem Obersten Kammerherrn hätte befehlen können, den Bewahrer des Großen Goldzepters zu ersuchen, den Ersten Diensttuenden Pagen anzuweisen, den Hauptlakaien zu bitten, der Ehrenzofe aufzutragen, dass sie einen Wassereimer bringe, Seine Majestät zu löschen.
Wenige der Snobs kommen in den Genuss milder Nachsicht. Wie ein achtbarer Spross aus irisch-katholischer Familie:
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Er hat ein Bändchen einfältiger, kraftloser Gedichte geschrieben. Er trägt eine Locke des Beichtigers und Märtyrers Laud bei sich, und als er in Rom dem Papst den Fuß küsste, fiel er in Ohnmacht. Er schläft in weißen Glacéhandschuhen und gibt sich gefährlichen Exzessen mit grünem Tee hin.
Vom Butler zum Lord
Thackeray analysiert die Akteure und die Regeln des gesellschaftlichen Lebens seiner Zeit. Das ebenso prächtige wie nutzlose Treiben der Blender dient nur einem Ziel: der gesellschaftlichen Anerkennung. Der Snob verachtet alle, die ihn nicht verachten. Befeuert wird der Eifer zum gesellschaftlichen Aufstieg dadurch, dass diese so starr scheinende Gesellschaft durchlässige Stellen besitzt. So schildert Thackeray die Geschichte eines Butlers, der seinem verschuldeten Lord finanziell aus der Patsche hilft, und im Gegenzug seinen Sohn an dessen Tochter verheiraten darf, was jenen in adelige Kreise hievt. Drei Generationen später sitzt die Butlerfamilie im Oberhaus.
Ein Snob ist nach Thackeray nicht nur der, der auf andere herabblickt, sondern eben auch jener, der sich seiner niedrigeren Stellung schämt und den höher Gestellten imitiert. Die Verehrung der Höhergestellten ist also keineswegs naiv.
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Dieses Buckeln und Kriechen hält Smith für die Rolle von Snobs; und er wird alles tun, was in seiner Kraft und Macht steht, um ein Snob zu werden und sich nicht länger Snobs zu unterwerfen.
Auch ernste Kritik
Nicht immer aber geht es um den gesellschaftlichen Aufstieg. Der "königliche Snob" George IV., steht an der Spitze der Gesellschaft, was ihn aber nicht daran hindert, überaus stolz darauf zu sein, im "Schwung seiner Jugend" eine "neue Form der Schuhschnalle" erfunden zu haben. Manchmal geht Thackerays Satire in ernste, scharfe Kritik über. Vor allem dann, wenn der Snobismus echte Opfer fordert.
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Jones hat feine Bekannte und lebt gemäß ihrem Vorbild als der muntere, freimütige Bursche, der er ja auch ist, ruiniert seinen Vater, beraubt seine Schwester ihrer Aussteuer und zerstört des jüngeren Bruders Start ins Leben um des Vergnügens willen, Mylord zu unterhalten und an Sir Johns Seite zu reiten.
Auch das Lebensglück der Lords und Ladies selbst fällt mitunter dem Snobismus zum Opfer.
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Du sollst nicht lieben ohne eine Zofe; du sollst nicht heiraten, außer mit Kutsche und Pferden; du sollst keine Gattin im Herzen und keine Kinder auf dem Knie haben ohne einen Pagen mit Knöpfen und eine französische Bonne. (...) Heirate arm, und die Gesellschaft wird dich aufgeben; deine Tanten und Onkel werden die Augen verdrehen und beklagen, auf welche ach so traurige Art sich Tom oder Harry fortgeworfen hat. (...) Welke, armes Mädchen, in deiner Dachkammer; verrotte, armer Junggeselle, in deinem Club.
Patriotismus pur
Ganz ironischer Patriot hebt Thackeray die Sonderstellung des britischen Snobs im Vergleich zu den Gepflogenheiten im Ausland hervor.
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Eines Franzosen Dünkel hat immer etwas Unbehagliches. Er prahlt mit so viel Nachdruck, Geschrei und Gefuchtel, brüllt so laut, dass der Francais die Spitze der Zivilisation, das Zentrum des Denkens usw. ist; man kann gar nicht übersehen, dass der arme Kerl selbst fortwährend daran zweifelt, wirklich das Wunder zu sein, welches er zu sein behauptet. Den britischen Snob dagegen umgibt gewöhnlich kein Lärm, kein Getue, sondern die Gelassenheit der tiefen Überzeugung.
William Makespeace Thackerays "Buch der Snobs" birgt wahre Schätze ironischer Formulier- und Fabulierkunst. Es ist eine hochkomisch und elegant geschriebene Analyse der Psychologie gesellschaftlichen Aufstiegs, die nicht nur für die viktorianische Zeit gilt, sondern bruchlos in unsere Rad-schlagende Amüsiergesellschaft hinüberreicht.
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William Makepeace Thackeray, "Das Buch der Snobs", aus dem Englischen übersetzt von Gisbert Haefs, Manesse Bibliothek der Weltliteratur
Manesse - Das Buch der Snobs