Helmut Schüller wünscht sich Dialog

"Ungehorsam ist angebracht"

Die Kirche hinkt der modernen Gesellschaft, in der unter den Geschlechtern Gleichheit herrscht und die Stimme jedes Einzelnen etwas zählt, hinterher, sagt Pfarrer Helmut Schüller. Die Leitfigur der Pfarrer-Initiative, die zum "Ungehorsam" gegenüber dem Kirchenrecht aufgerufen hat, war im Ö1-Journal zu Gast.

Mittagsjournal, 27.8.2011

"Aufruf zum Ungehorsam": breite Zustimmung

Rund 120 Priester sind der "Aufforderung zum Ungehorsam" gefolgt und bekennen sich in der Öffentlichkeit dazu, gegen kirchliche Vorschriften zu verstoßen. Als Frontfigur dieser Pfarrer-Initiative gilt Helmut Schüller, ehemaliger Caritas-Präsident und Generalvikar in Wien. Geschiedene Katholiken in einer neuen Beziehung bekommen die Kommunion, Gemeindemitglieder leiten Gottesdienste, kompetente Katholiken predigen und verheiratete Priester werden eingeladen, ihr Amt wieder auszuüben.

"Kein Revancheakt an Schönborn"

Mit dieser Aktion gehe es nicht darum, Kardinal Christoph Schönborn, der der Initiative kritisch gegenübersteht, herauszufordern, sagt Schüller. "Hier geht es nicht um einen persönlichen Streit, sondern um die dringenden Anliegen des Kirchenvolkes." Vehement verwehrt sich Schüller dem Vorwurf, er wolle sich bei Schönborn dafür revanchieren, weil dieser ihn 1999 aus seinem Amt als Generalvikar enthoben hatte.

"Kirche tut sich mit stillem Ungehorsam leichter"

Über die Wellen, die die Pfarrer-Initiative innerhalb der Kirche schlägt, ist auch Schüller überrascht. "Es ist vielleicht in der Kirche unüblich, deutlich zu werden. Doch das was wir fordern, tun wir schon die ganze Zeit im Stillen, um den Menschen entgegenzukommen und der heutigen Zeit zu entsprechen." Die Kirche tue sich mit stillem Ungehorsam anscheinend leichter als mit dem offen Gesagtem, resümiert der Pfarrer. Denn: "Wenn man die Basis im Stillen so arbeiten lässt, wie sie es schon tut, dann erspart man sich Reformen."

"Kirche muss auf das Volk hören"

Kritik übt Schüller auch an der ausgeprägten Autoritätsstruktur in der römisch-katholischer Kirche. "Die Kirche wird nicht von oben nach unten aufgebaut, sondern die Kirche baut sich über die Gemeinden auf. Die Ämter in der Kirche haben immer auch auf das Volk zu hören", sagt Schüller und verweist auf die Benedikts-Regel, nach der der Abt verpflichtet sei, nicht nur auf den Konvent zu hören, sondern ausdrücklich auch auf den jüngsten Mönch. "Ich weiß was Gehorsam ist, aber ich weiß auch, wann Ungehorsam angebracht ist", so Schüller.

Und zwar dann, "wenn der, der zum Gehorsam verpflichtet ist, das Gefühl hat, dass Vereinbarungen nicht mehr stimmen, das gemeinsame Ziel sich verändert, oder dass ungute Wege gegangen werden". Dann aufzubegehren sei keine Untugend, sondern ein wichtiger Schritt, so der Pfarrer.

"Mauschelei unter vier Augen nicht angemessen"

Auf die Frage, warum er mit seinen Forderungen lieber an die Öffentlichkeit gehe, anstatt sie dem Kardinal in einem Vier-Augen-Gespräch zu unterbreiten, antwortet Schüller: "Eine Mauschelei unter vier Augen ist nicht angemessen. Eine Kirchenreform ist eine Sache zwischen der Kirchenleitung und dem gesamten Kirchenvolk." Transparenz sei in dieser Frage wichtig, aber nicht selbstverständlich. "Nichts hat so viele Milchglasscheiben wie unsere Kirche", so Schüller.

"Bürgerrecht für die Kirche"

Zudem wolle man mit den Bischöfen nicht "irgendetwas ausverhandeln", sondern erreichen, dass mit dem Kirchenvolk geredet werde. Und zwar in einer "anderen Weise und in einem anderen Setting als bisher." Die Getauften seien Träger dieser Kirche und hätten es sich verdient, dass man ihnen zuhöre und ihre Anliegen ernst nehme. Daher fordere er eine Art "Bürgerrecht" für die Kirche. Von der Gemeinde, zur Ortskirche bis zur Weltkirche müsse das Volk endlich gehört werden, so Schüller.