Von öffentlich bis privat

Die Kulturgeschichte der Scheiße

Was hinter verschlossenen Türen geschieht, darüber spricht man nicht. Insbesondere gilt das für die Klotür. Das war nicht immer so. Genauso wenig wie es schon immer verschlossene, das heißt: verschließbare Toilettentüren gegeben hat. Die kamen erst um 1900 in Mode.

Die Faszination für die Cloaca maxima, den größten Abwasserkanal des Alten Rom, ist laut dem französische Psychoanalytiker Dominique Laporte bezeichnend für unser Verhältnis zu menschlichen Exkrementen: Sie sind mit einem Tabu besetzt.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Was den Körper als Produkt der Verdauung verlassen hat, wollen wir schnell aus den Augen haben - eine Zivilisation, die zur raschen Fakälien-Entsorgung ein komplexes architektonisches System verwirklicht hat, gilt uns deshalb als besonders beeindruckend. Doch die Römer hatten ein weit zwangloseres Verhältnis zur Defäkation als wir. Sie mögen die Kanalisation erfunden haben, die Tabuisierung der Scheiße ist eine Erfindung der Neuzeit.

Mit diesem Erlass des französischen Königs Franz' I. vom November 1539 beginnt, was Dominique Laporte in seiner "Gelehrten Geschichte der Scheiße" die "Domestizierung der Exkremente" nennt. Die alten Römer hatten nichts dabei gefunden, sich vor anderen zu erleichtern. Dazu gab es bekanntlich öffentliche Latrinen: lange, mit mehreren Löchern versehene Steinbänke.

Im "sprachhus"

Auch im Mittelalter wurde öffentlich und gemeinschaftlich defäkiert: Bezeichnenderweise lautete das mittelhochdeutsche Wort für Toilette "sprachhus": Man konnte sich dort gut unterhalten. Die Verordnung von Franz I. stellt ein Novum dar, denn nun wird erstmals jeder Eigentümer eines Hauses verpflichtet, einen privaten Abort zu bauen. Ihre Konsequenzen sind so weitreichend wie paradox:

"Als Gegenstand der Politik wird die Scheiße zu einer Privatangelegenheit", schreibt dazu Dominique Laporte. Erst indem sich die Politik ihrer annahm, wurden Exkremente zu dem, was sie heute für uns sind: etwas intimes, ja, mit Schamgefühlen Behaftetes. Und erst mit dieser Tabuisierung konnte sich jener Bereich entwickeln, in dem Exkremente uns heute wahrscheinlich am häufigsten begegnen: das weite Feld der fäkalischen Schimpfwörter. Im Deutschen ist "Scheiße" wohl der am häufigsten gebrauchte Kraftausdruck.

"Safran" der Ausscheidung

Für komische Effekte scheint sich Kot schon immer geeignet zu haben. Bereits in einem Satyrspiel des antiken Dichters Aischylos wird Odysseus ein Nachttopf an den Kopf geworfen. Und die Handlung des ersten deutschsprachigen Theaterstücks, des sogenannten "Neidhartspiel" aus dem 13. Jahrhundert, dreht sich um einen Hut, unter dem ein Häufchen Exkremente liegt.

Den höchsten Anteil an skatophilem Humor hat wahrscheinlich "Gargantua und Pantagruel" von Francois Rabelais. Der Mitte des 16. Jahrhunderts erschienene Roman endet damit, dass sich die Figur Panurge vor Angst in die Hose macht. Als seine Kumpane ihn auslachen, erwidert er: "Ha ha ha! Hu ha! Was zum Teufel ist das hier? Nennt ihr es ruhig Driete, Kot, Kacke, Scheiße, Dreckmist, Ausscheidung, fäkalischer Stoff, Exkrement, Senf, Losung, Jauche, Gewöll, Köttel, Hartwurst und Rosinen. Ich glaub, es ist hibernischer Safran."

Fäkal-Witze beziehen ihre Komik meist daraus, dass Exkremente in unpassenden Situationen auftauchen oder, wie bei Rabelais, behandelt werden, wie etwas, das sie nicht sind: Panurge bezeichnet den Fleck auf seiner Kleidung schlichtweg als Safran, als ein rares, kostbares Gewürz also.

Die beste Medizin

Im Lauf der Geschichte wurden allerdings Exkremente auch als wertvoller Stoff angesehen - zum Beispiel als Heilmittel:

In der Medizin haben Exkremente seit der Antike immer wieder eine Rolle gespielt. Vor allem ihrem starken Geruch sagte man nach, Krankheitserreger zu vertreiben. Im umfassendsten Werk zu diesem Thema, der "Heylsamen Dreck-Apotheke" des deutschen Arztes Christian Franz Paullini, die 1696 erschien, heißt es dazu:

Hervorragender Dünger

Hygienische Bedenken gegen allzu intensiven Umgang mit Exkrementen begannen erst im 19. Jahrhundert Fuß zu fassen. Allerdings erlebte die Wertschätzung menschlichen Kots zu dieser Zeit auch einen Höhepunkt: Er sollte als Dünger dienen. Schon die alten Römer hatten um das wachstumsfördernde Potenzial der Exkremente gewusst. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigten das nun.

Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung und durch die Industrielle Revolution setzte eine massive Verstädterung ein. Es stellte sich die Frage, wie man immer mehr Menschen ernähren sollte - und wie man ihre Ausscheidungen entsorgen sollte. Sie in den Kreislauf der Nahrungsmittelproduktion einzubeziehen, schien nahe zu liegen und wurde vor allem in Deutschland und Frankreich heftig diskutiert. Einer der Befürworter war der Sozialphilosoph Pierre Leroux:

Tatsächlich wurden in Deutschland Fabriken gebaut, die menschlichen Kot zu geruchlosem Dünger, "Poudrette" genannt, verarbeiten sollten. Doch sie gingen nie in Betrieb. Florian Werner bemerkt dazu in "Dunkle Materie - Eine Geschichte der Scheiße":

Hinter verschlossenen Türen

Statt Exkremente zu sammeln und an Poudrette-Fabriken zu liefern, wurden nun groß angelegte Kanalisationssysteme gebaut. In Wohnhäusern hielten Klos Einzug, wie wir sie heute kennen: mit verschließbaren Türen und Wasserspülung, die Ausscheidungen unverzüglich in den Untergrund befördert - ein Vorgang, der nicht von ungefähr mit psychischer Verdrängung verglichen worden ist. Die Tabuisierung der Scheiße war besiegelt.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde, wie so viele andere, auch das Tabu Kot angegriffen. Die Sätze, die Günter Grass 1977 in seinem "Butt" den Protagonisten zu seiner Frau sagen lässt, dürfen dafür als programmatisch gelten. Doch wer denkt, dass dieses Tabu heute gefallen wäre, irrt. Man mag - zumindest zu gegebenem Anlass - "Scheiße" sogar im Radio sagen können, geschissen wird dennoch nicht bei offener Türe. Exkremente als solche sind tabuisierter denn je: Hundekot kommt seit einigen Jahren - endlich, möchte man sagen - auch in Wien ins Sackerl. Und wer seine Sanitärräume neu gestalten will, wird mit großer Wahrscheinlichkeit einen Tiefspüler kaufen: Jene Klos, die nicht einmal mehr einen Blick zum Abschied auf das Ausgeschiedene zulassen.

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Florian Werner, Dunkle Materie. Eine Geschichte der Scheiße", Verlag Nagel & Kimche