Elisabeth Reicharts Kindheitsroman

Die Voest-Kinder

"Die Voest-Kinder" ist der Titel des neuen Romans von Elisabeth Reichart. Behandelt wird da eine Kindheit im Linz der 1950er Jahre, als der österreichische Stahlkonzern mit seiner dunklen Vergangenheit seinen Aufschwung erlebte.

Die oberösterreichische Schriftstellerin und Historikerin hat sich immer wieder mit dem Thema Nationalsozialismus und den Folgen seiner Verdrängung befasst, am bekanntesten wurde in den 1980er Jahren ihr Buch "Februarschatten", wo sie die sogenannte "Mühlviertler Hasenjagd" beschreibt.

Kulturjournal, 09.09.2011

Die "Voest-Kinder" sind jene Kinder, die in den 1950er Jahren in den Arbeitersiedlungen der Linzer Steppe wohnen, deren Väter jeden Morgen den Voest-Bus nehmen und den ganzen Tag im glitzernden Stahlwerk verschwinden und deren Mütter in den Kellern die Wäsche trocknen, denn wenn der Wind dreht, färbt der Ruß die frische Wäsche schwarz.

Elisabeth Reichart war in den 1950er und 1960er Jahren selbst so ein Voest-Kind: "Ich denke schon, dass das etwas Spezielles ist", meint sie, "wenn man in einer Siedlung aufwächst, wo nur Voestler wohnen. Wir Kinder waren den ganzen Tag uns selber überlassen. Wir wurden auch gemeinsam auf Erholung geschickt, wir gingen gemeinsam in Theatervorstellungen der Voest."

Diese Kinder haben eben eine gemeinsame Geschichte, so Reichart. Die eigene Erinnerung und die Erzählungen anderer Voest-Kinder verwebt Reichart zu einer Geschichte aus Kinderperspektive.

Heiß und geheimnisvoll

Die Voest, das expandierende Werk, das in den Nachkriegsjahren zum österreichischen Vorzeigebetrieb und zur wichtigsten Säule der verstaatlichten Industrie wurde, beflügelt die Fantasie des Kindes. Ein strahlend-glänzendes Märchenschloss ist die Voest untertags, eine glitzernd-dampfende Welt in der Nacht, und so heiß und geheimnisvoll wie Afrika. Aber das Kind ahnt auch die dunkle Vergangenheit, zu der keine Fragen gestellt werden dürfen.

Im Buch heiße es meistens "Tausendjähriges Reich", so Reichart, was sich das Kind eher merke als "Nazi-Zeit" und ähnliche Worte.

Gut recherchiert

Elisabeth Reichart, ganz Historikerin, hat alle Diplomarbeiten und Dissertationen, sowie Berichte der Historikerkommission gelesen, die zur Geschichte der Voest verfasst wurden - über die Gründung als "Hermann Göring Werke" im Jahr 1938, über die Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, die dort an der Herstellung von Kriegsgerät arbeiten mussten.

"Irgendwann habe ich mich entschieden, ich bleibe im Blickwinkel des Kindes", sagt Reichart. "Insofern kommt die Geschichte immer nur so weit rein, wie Kinder sie erleben können."

Textfassung: Ruth Halle

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Elisabeth Reichart, "Die Voest-Kinder", Otto Müller Verlag

Otto Müller Verlag