Diskussionen und Originaldokumente
Nacht des Aktionismus in ORF 2
Ende der 1960er Jahre sorgten die Wiener Aktionisten für Aufsehen in den konservativen Kreisen der Gesellschaft. Mit ihren radikalen Aktionen stellten die Künstler das damalige rigide Wertesystem auf den Kopf. Doch wie sah es eigentlich hinter den Kulissen aus und welche Relevanz hat der Aktionismus heute? Nur zwei von vielen spannenden Fragen, die der ORF heute in der "Nacht des Aktionismus" stellen wird.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 09.12.2011
Interview mit Peter Weibel
Am 7. Juni 1968 betraten fünf Männer und eine Frau den Hörsaal 1 im neuen Institutsgebäude der Universität Wien. In ihrer Aktion "Kunst und Revolution" wurde masturbiert, erbrochen und die Notdurft verrichtet, es kam zu Auspeitschungen und Selbstverstümmelungen. Die Boulevard-Presse echauffierte sich am nächsten Tag über diese "Uni-Ferkelei", der Wiener Aktionismus hatte die Öffentlichkeit, die er sich immer erhofft hatte.
"Der Aktionismus von damals ist nicht zu übertragen auf heute", meint Peter Weibel, Teilnehmer an der damaligen Aktion. "Wenn ich heute als Hund auf die Straße ginge (Anm.: an der Leine von Valie Export), kann man sagen, ich bewerbe mich bei Gottschalk." Diese Kombination von Kunst, Politik und Kultur sieht er als eine Chance, die die 1960er Jahre geboten hätten. Aber eine Chance müsse auch ergriffen werden "und das haben die gemacht".
Weibel war damals das jüngste Mitglied der Gruppe, gleichzeitig auch ihr Theoretiker, sattelfest sowohl in der Kunstgeschichte als auch im marxistischen Diskurs. Weibel war es übrigens auch, der den Begriff "Aktionismus" prägte. "Das Wort 'Aktionismus' war ein Neologismus, der mir selbst am Anfang komisch vorgekommen ist", so Weibel.
Kultur aktuell, 12.09.2011
Aktionen mit Storyboard
Die so spontan erscheinenden Aktionen waren alle von langer Hand geplant. Über gewisse Punkte wurde da manchmal jahrelang diskutiert, bevor sich die Aktionisten an die praktische Umsetzung machten. Und der lag jedes Mal eine ganz genau ausgearbeitete Choreografie zu Grunde.
"Bei manchen meiner Partituren - zum Beispiel von meiner letzten Aktion 'Die Zerreißprobe' - war buchstäblich der ganze Ablauf zeichnerisch festgehalten", erklärt Günther Brus, "und mit Pfeilen versehen, wie's weitergeht, also richtiggehend nachspielbar".
Eine Besonderheit stellten die Aktionen von Hermann Nitsch dar. Den faszinierte schon damals das dionysische Orgien Mysterien Theater, das im Aufbau epischer war und außerdem Anleihen in der griechischen Antike nahm, während seine Aktionisten-Kollegen ganz gegenwartsverhaftet arbeiteten. "Ich möchte den Aktionismus und die ganze Happening-Performance-Bewegung klassisch machen", sagt er.
Privat ganz schüchtern
Weibel, Nitsch und Brus werden in der "Nacht des Aktionismus" nicht nur über die damals herrschenden Gruppenzwänge und die Gruppendynamik diskutieren, es werden auch Originaldokumente der damaligen Aktionen gezeigt und zwar in ihrer rohen Form, ohne Kommentar und ohne nachträglich unterlegte Musik. Selbstbewusst scheinen die Künstler in diesen Filmen, unbeeindruckt von den Hunderten auf ihnen lastenden Blicken. Ein Irrtum, gibt Hermann Nitsch unumwunden zu:
"Wir waren sehr schamvolle Burschen. Wir haben uns furchtbare Sachen ausgedacht, was unsere Kunst anbelangt, aber im privaten Leben waren wir eher schüchtern - im Unterschied zum Kollegen Mühl, der ein großer Praktiker war, auch lange vor seiner Kommune."
Textfassung: Ruth Halle
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Mehr als fünf Stunden lang widmet sich ORF 2 am Montag, 12. September 2011, ab 23:30 Uhr dem Aktionismus. Eine Gesprächsrunde, Dokumentationen und zahlreiche historische Filmraritäten werden dabei gezeigt.
tv.ORF.at - Aktion und Provokation