Überraschungshit des Kinojahres 2011

Attack the Block

Wenn man bereit ist, Verallgemeinerungen zu akzeptieren, dann kann man Folgendes fest halten: Jedes Jahr gibt es einen Film, der aus dem Nichts kommt, den kein Trend-Scout am Radar hatte und der sofort ins Herz der Popkultur schießt. Das war beim Außerirdischen-Gesellschaftsstück "District 9" so; und das ist beim Science-Fiction-Thriller "Attack the Block" jetzt wieder so.

Erzählt wird darin von einer Gruppe von gewaltbereiten Jugendlichen, die sich in ihrer Londoner Sozialsiedlung vor aggressiven Außerirdischen verstecken - und ihnen schließlich den Kampf ansagen. Fest steht jedenfalls: So versiert, unterhaltsam und hintergründig wie der Brite Joe Cornish hat in den letzten Jahren kaum jemand Horror- mit Science-Fiction- und Komödienelementen kurzgeschlossen. Erinnerungen an Steven Spielberg und Joe Dante werden wach. Und durch das Kino fliegt ein Hauch von 80er-Jahre-Nostalgie.

Meteoriten mit Inhalt

Im Dunkel der Nacht überfällt eine Jugendgang eine junge Frau. Plötzlich leuchtet der Himmel für eine Sekunde auf: Ein Meteorit schlägt in ein geparktes Auto ein. Im Inneren des außerirdischen Brockens entdecken die Jungs eine leblose Kreatur. Wie eine Trophäe schleppen sie das Alien johlend und pfeifend zurück in ihren "Block"; eine gewaltige Wohnsiedlung, die sich wie eine Wand über den Horizont schiebt.

Während sie das Fundstück im Pflanzraum eines Kiffer-Freundes zwischenlagern, beobachten sie durch das Fenster, wie noch andere Meteoriten rund um die erste Einschlagstelle auf die Erde stürzen. Was die Jugendlichen noch nicht ahnen: Aus den Trümmern springen fellige Monster mit blau fluoreszierenden Reißzähnen. Und sie bewegen sich geradlinig auf einen Punkt zu: auf den Wohnblock mitten in London.

Es ist fast ein wenig unverschämt, wie geschmeidig sich "Attack the Block" anfühlt. Der sozialkritische Anstrich der Anfangsminuten mutiert mühelos in ein Spielberg'sches Jugendabenteuer inklusive Jungs auf BMX-Rädern. Erst im letzten Drittel betont Regisseur Joe Cornish dann die Horror-Elemente. Wenn sich die wenigen Überlebenden in einer Wohnung verstecken, aus Feinden Verbündete werden und die Monstren durch die dunklen Flure schleichen, darf man schon mal etwas tiefer in seinen Kinosessel hineinrutschen.

Wer ist Joe Cornish?

Die drängendste Frage, die nach dieser Entertainment-Massage namens "Attack the Block" im Zuschauerkopf hängen bleibt, lautet: Wer ist Joe Cornish? Wer ist dieser Regisseur, der aus dem Nichts heraus einen der besten Genrefilme der letzten Jahre abgeliefert hat? Erste Spuren führen zu einer Comedy-Show des britischen Fernsehsender Channel 4: für "The Adam And Joe Show" persifliert Joe Cornish wertvolles Popkulturgut.

Aus "Friends" wird "Furends", aus "American Beauty" "American Beautoy" und aus "Saving Private Ryan" "Saving Private Lion". Ihre Parodien bestücken Joe Cornish und sein Schulfreund Adam Buxton mit Plastik- und Plüschfiguren, die sie vor selbst gebastelten Pappkulissen positionieren und mit primitiver Stop-Motion-Technologie animieren. Das Ergebnis ist feine Kinderzimmeranarchie, die das popkulturelle Universum respektlos behandelt und sich gleichzeitig davor verbeugt.

Wie alle Parodisten kennen die Macher ihre Inspirationsquellen in- und auswendig. Cornish und Buxton sind das, was man umgangssprachlich Fanboys nennt - nicht umsonst kehren sie in ihren Sketches immer wieder zu den Figuren und Schauplätzen aus "Star Wars" zurück. Es sind Erinnerungen an vergangene Zeiten, verlorene Kindheiten und analoge Film-Effekte. In gewisser Weise ist "Attack the Block" eine Weiterentwicklung von Cornishs Plastikfigurendramen. In beiden Fällen geht es ihm um eine altmodische, vor-digitale Sensibilität, um einen Rücksturz in jenes Kino-Universum, das man vor vielen Jahren vom Kinderzimmer aus beobachtet hat, um perfekte eskapistische Unterhaltung - natürlich mit Monstern.

Freunde unter sich

Das filmische Universum von Joe Cornish, das ist ganz nah an dem von Edgar Wright angesiedelt. Auch der entwickelt eine britische TV-Comedy, bevor ihm 2004 mit der Zombie-Komödie "Shaun of the Dead" der Durchbruch als Regisseur gelingt. Wright, der mittlerweile mit "Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt" seine erste Hollywood-Produktion realisieren konnte, hat seinem langjährigen Freund Joe Cornish bei "Attack the Block" als Produzent unter die Arme gegriffen. Und auch Nick Frost, enger Mitarbeiter und Kumpel von beiden Regisseuren, ist mit von der Partie: in "Attack the Block" spielt er den dauerdichten Kiffer, in dessen Pflanzraum ein Außerirdischer zwischengelagert wird.

Die perfekte Balance zwischen Humor und Horror sowie die analogen Effekte sind es schließlich auch, die "Attack the Block" so unverwechselbar gemacht haben. Das Projekt ist in gewisser Weise die Kulmination von Cornishs bisheriger Arbeit und speist sich nicht zuletzt aus dem Kreativpotenzial seines Freundeskreises.

Mittlerweile gilt der ehemalige Fernseh-Comedian als einer der heißesten Jungregisseure der Welt, gleich mehrere Studios reißen sich darum, das nächste Projekt des Briten zu entwickeln. Bevor es soweit ist, darf man sich Ende des Jahres noch vom Autoren Cornish überzeugen: Gemeinsam mit Edgar Wright hat er das Drehbuch zu "The Adventures of Tintin: The Secret of The Unicorn" verfasst. Die Regie übernimmt der geistige Vater der beiden Briten, Steven Spielberg.

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/slash Filmfestival, 22. bis 30. September 2011, Filmcasino Wien

Attack The Block
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