Ausstellung in der Generali Foundation

Das Phänomen Animismus

Einem auf den ersten Blick exotisch erscheinenden Thema widmet sich die Generali Foundation in ihrer gestern eröffneten Ausstellung. Da geht es nämlich um Animismus, ein Begriff, den man ja eigentlich aus der Völkerkunde kennt.

Bezeichnet wird damit gewöhnlich eine Religionspraxis, die davon ausgeht, dass die gesamte Umwelt, dass also jeder Berg und jeder Fluss, jeder Stein und jede Pflanze, aber auch jeder Alltagsgegenstand eine Wesenheit darstellt, die auch eine Wirkkraft auf uns Menschen besitzt.

Kulturjournal, 16.09.2011

Vogelstimmen sind gleich am Eingang der Ausstellung zu hören und verbreiten eine exotische Atmosphäre. Man denkt an Naturvölker, undurchdringliche Regenwälder und archaische Rituale. Darauf zielen wir aber gar nicht ab, meint Kurator Anselm Franke. Der Animismus ist nämlich gerade kein Exotikum, sondern uns näher als wir denken. Im Animismus geht es nämlich nicht darum, den Gegenständen ein Leben zuzuschreiben, sondern darum, ihre Wirkung anzuerkennen.

Kartoffeln als Batterien

Dass Gegenstände "animierend" oder ansprechend sein können, hat sich ja sogar in unserem Sprachgebrauch niedergeschlagen. Und schon im 17. Jahrhundert hat der Philosoph Jakob Böhme gemeint, dass jedes Ding seinen Mund hat. In der Gegenwart wurde der Gedanke vor allem vom Franzosen Bruno Latour aufgegriffen, der vom Eigensinn der Objekte sprach. Eingehender mit diesem Phänomen beschäftigt hat sich lange Zeit aber ausschließlich die Kunst. Darauf hingewiesen hat einer der wichtigsten Theoretiker des Animismus, Sigmund Freud.

In einem Kapitel von "Totem und Tabu" sagt er, es gebe einen Bereich, in dem unsere moderne Zivilisation sich den Animismus bewahrt habe, das sei der Bereich der Kunst, so Anselm Franke. Er geht auf eine Glasvitrine zu, in der vier Kartoffeln liegen. Aus denen ragen blaue und rote Kabel, die auf eine Digitaluhr zulaufen. Die Arbeit stammt vom Argentinier Victor Grippo, heißt "Die zweite Version der Zeit" und nimmt die Wirkkraft der Gegenstände wörtlich. Die Kartoffeln werden als Batterien benutzt, die eine Uhr antreiben, erklärt dazu Franke.

Michaux' Experimente

Ein paar Schritte weiter tanzt ein abstraktes Liniengewirr über eine Wand. Der dänische Künstler Joachim Koester hat Zeichnungen von Henri Michaux animiert. Der belgische Dichter und Zeichner hatte jahrelang mit Meskalin experimentiert, einer bewusstseinserweiternden Substanz, die auch von indianischen Schamanen eingenommen wird. Unter dessen Wirkung hat er diese wilden Liniengeflechte angefertigt.

Michaux ging es darum, die Grenzen von Körper und Wachbewusstsein zu überwinden, sagt Franke. "Im Kontext der Ausstellung gibt es eine Reihe von Arbeiten, die im klassischen Sinne Grenzüberschritte sind", so Franke. "Henri Michaux' Mescalin-Experimente sind nicht Drogenexperimente, die in der Erfahrung der 'anderen Seite', der Überschreitung eine metaphysische Wahrheit suchen."

Die Angst der Pflanzen vor der Ernte

Auf einem anderen Videomonitor ist eine Japanerin zu sehen, die auf ihren Kaktus einspricht. Die Szene wirkt wie eine Parodie auf den Animismus und tatsächlich versucht die Frau, ihrer Zimmerpflanze Japanisch beizubringen. Der Film behandelt, so der Titel, "Das geheime Leben der Pflanzen".

Der Arbeit zugrunde liegt Walon Greens Film "The Secret Life of Plants", "ein merkwürdiges Produkt zwischen einer New-Age-Esoterik, beginnenden Öko-Bewegung und seriöser Wissenschaft angesiedelt", meint Franke. So werde in dem Film zum Beispiel ein Kohlkopf im Labor zerhackt, umgeben von vielen anderen Pflanzen, die an Messgeräte angeschlossen sind. Das Zerhacken des Kohlkopfes lässt alle Sensoren bei den benachbarten Pflanzen nach oben schnellen und: Stunden später, wenn die Person, die den Kohl zerhackt hat, den Raum betritt, schlagen die Sensoren wieder aus.

Mit "Animismus - Moderne hinter den Spiegeln" ist der Generali Foundation eine reichhaltige Schau gelungen, die nichts weniger unternimmt, als ein alternatives Denksystem vorzustellen. Nicht als das Wilde und Fremde jedoch, das vom anderen Ende der Welt stammt, sondern als ein Phänomen, das uns näher steht, als uns bewusst ist, ein Phänomen aus der uns eigenen Fremde, wenn man so will.

Textfassung: Ruth Halle

service

"Animismus. Moderne hinter den Spiegeln", 16. September 2011 bis 29. Januar 2012, Generali Foundation

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