Spätromantischer Krimi-"Suspence" in der Oper

Waltershausens "Oberst Chabert"

Ein Opernkomponist tritt aus dem Schatten von Richard Strauss und anderen seiner Zeitgenossen: Eine CD-Neuerscheinung von Hermann Wolfgang von Waltershausens Opern-Krimi "Oberst Chabert" macht neugierig auf das übrige Schaffen des deutschen Spätromantikers.

Es ist schon so: Die Pioniere und die nicht ganz Starken werden vergessen, immer wieder. Fallweise aber doch wiederentdeckt von unserer das Neue im Alten suchenden Zeit. Krimiautorinnen und -autoren lassen zwar nicht selten Morde in Opernhäusern passieren, aber sonst haben Kriminalgeschichte und Oper überraschend selten zueinander gefunden.

Vom Erfolgsstück zur CD-Rarität

Alfred Uhl mit seinem "Mysteriösen Mister X" hat die Liaison - mit Theo-Lingen-Text - komödiantisch angepackt, Hermann Wolfgang von Waltershausen ganz ernsthaft: In den frühen 1910er Jahren, mit teils straussischen, teils deutsch-veristischen Tönen auf einer Linie mit Eugen d'Albert, und mit nicht einem Moment Fadesse in den eineinhalb Stunden des "Oberst Chabert", für den er sich als sein eigener Autor locker an einen Text von Balzac als Handlungsvorlage hielt.

1912 hatte "Oberst Chabert" in Frankfurt am Main Premiere, im Vorjahr nahm sich die Deutsche Oper Berlin des ehemaligen Erfolgsstücks an. Das Ergebnis, hochwillkommen in Anbetracht der Individualität von "Oberst Chabert" insgesamt, ist nun im CD-Mitschnitt unter der Leitung von Jacques Lacombe nachhörbar, mit Bo Skovhus in der Bariton-Titelrolle.

Der zurückhaltende Außenseiter

Er hatte Gelehrte in der Familie und musste nicht ums Überleben komponieren: Hermann Wolfgang von Waltershausen, 1882 bis 1954. Charakterlich so gebaut, keine "Ellbogen" einzusetzen, außerdem seit einer schweren Krankheit in der Kindheit, die zum Verlust eines Arms und eines Beines führte, darin geübt, primär innere Hindernisse zu überwinden, etwa indem er sich aufs einhändige Klavierspiel verlegte, war Waltershausen keine Konkurrenz für die auf ihre Art sämtlich extrovertierten Zeitgenossen Strauss, Schreker, Pfitzner, Hindemith.

Nur mit "Oberst Chabert", dem Opern-Krimi nach Honoré de Balzacs "Comtesse à deux maris" sollte es ihm gelingen, in deren Phalanx einzubrechen. (Obgleich sich Waltershausen 1933 an der Münchner Akademie für Tonkunst vorzeitig in den Ruhestand versetzen ließ, endete der Siegeszug von "Oberst Chabert" erst im NS-Deutschland, zu dessen offizieller Musik-Doktrin sich Waltershausen als überzeugter Gegner der "Atonalität" systemkonform verhielt.)

Der Kriegsheimkehrer, der nicht mehr leben durfte

Die Handlung des "Oberst Chabert" schildert Nachkriegs-Zustände: Chabert kommt heim aus dem Krieg, aus Gefängnis und Irrenhaus, weil man ihm, der sich aus einem Massengrab befreien konnte, seine Geschichte nicht abgenommen hat, totgeglaubt, totgemeldet ein für allemal. Auch seine Frau von früher, Rosine, gibt bei der ersten Wiederbegegnung vor, ihn nicht zu kennen - sie hat sich längst einen anderen gefunden, Graf Ferraud.

Chabert führt die Konfrontation herbei, heraus kommt: Rosine hat ihn nie geliebt. Tote, muss Chabert erkennen, sollen nicht wiederkehren. Er lässt sich von Rosine schriftlich attestieren, er hätte in betrügerischer Absicht die Identität des Verstorbenen angenommen, und wird wieder der Bettler Hyazinth, als den man ihn lange geschmäht hat. Ferraud glaubt die Angelegenheit beendet, da fällt ein Schuss - Chabert! Selbstmord! Diese Last erträgt Rosine nicht: Sie geht selbst in den Tod.

Gelungene Aufnahme

Bo Skovhus' Chabert umweht immer ein Hauch Mandryka (aus Richard Strauss' "Arabella"), Manuela Uhl, aus der Kieler Aufnahme der Strauss'schen "Liebe der Danae" in guter Erinnerung, ist eine tolerierbar spröde Rosine, die kleineren Rollen, mit Tenor Raymond Very als Ferraud an der Spitze, sind untadelig besetzt. Vor allem sorgt Jacques Lacombe am Dirigentenpult des Orchesters der Deutschen Oper dafür, dass Spannung und Farbenpracht herrscht.

Spätromantischer Krimi-"Suspence" auf der Opernbühne: diese Mischung gibt es nur bei Hermann Wolfgang von Waltershausen. Ob die Aufmerksamkeit, die die CD-Produktion auf den Komponisten gelenkt hat, auch zu Wiederaufführungen seiner symphonischen Kompositionen führen wird?

Waltershausen gehörte als Schüler Ludwig Thuilles fest zum Münchner Musikleben und war an der Isar über Jahrzehnte ein gesuchter Lehrer. Obgleich er sein kompositorisches Schaffen 1936 als beendet erklärte (unter Einfluss des politischen Klimas?), gäbe es für eine mögliche Neubewertung seines Oeuvres neben jeder Menge Vokalmusik unter anderem eine "Apokalyptische Symphonie" oder eine "Passions- und Auferstehungsmusik" aus dem Jahr 1932 zur Auswahl - und weitere Bühnenwerke, von "Else Klapperzehen" bis "Die Gräfin von Tolosa", die nur vom Bayerischen Rundfunk posthum uraufgeführt, aber bis dato nicht auf die Bühne gebracht wurde.

Text: Chris Tina Tengel

Service

Hermann Wolfgang von Waltershausen, "Oberst Chabert", Bo Skovhus, Manuela Uhl, Raymond Very u.a. / Orchester der Deutschen Oper Berlin, Leitung: Jacques Lacombe, CPO