Das Gastland der Frankfurter Buchmesse

Sagenhaftes Island

Gletscher und Geysire, Krater und Lavalandschaften: Island hat in letzter Zeit vor allem mit den jüngsten Vulkanausbrüchen Schlagzeilen gemacht - und mit dem Zusammenbruch des gesamten Finanzwesens vor drei Jahren. Die Vulkanasche hat sich mittlerweile gelegt, die Folgen des Bankencrashs wirken allerdings noch nach. Wie geht die Kunst- und Kulturszene damit um?

Kultur aktuell, 03.10.2011

Eiskalt weht der Herbstwind auf der Uferpromenade, das aufgepeitschte Meer spiegelt sich in der Glasfassade des neuen Konzerthauses. Harpa - so heißt das Prestigeprojekt am alten Hafen der Stadt - für viele ein Sinnbild für den Größenwahn, der das Land vor dem Bankencrash erfasst hatte. Zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex: So definiert die Autorin Steinunn Sigurdardottir die Bewusstseinslage der Nation. Und sie kennt auch die Wurzel des Übels, und zwar: Die Isländer haben ihre Vergangenheit vergessen, denn bis ungefähr 1950 war Island "urarm", sagt sie.

Leben nach dem Finanzcrash

Ein Großteil des neuen Reichtums beruhte auf dem rasanten Wachstum der drei größten isländischen Banken, die sich innerhalb von acht Jahren zu wahren Finanzgiganten entwickelten. 2007 war Island das fünftreichste Land der Welt, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf übertraf das der USA um 60 Prozent. In Reykjavík boomten die Designergeschäfte, in den Restaurants speiste man teurer als in London, und die engen Straßen waren von Luxusgeländewagen verstopft. Eine notwendige Ernüchterung - so sieht Gabriela Fridriksdottir den Finanzkollaps. Sie und ihre Künstlerkollegen seien aber davon nicht wirklich betroffen, sagt sie.

Gabriela Fridriksdottir zählt zu den bekanntesten Künstlerinnen des Landes. Mit ihren Installationen, Videos und Gemälden ist sie in der Kunstszene von New York ebenso vertreten wie in Prag oder bei der Biennale in Venedig. Und in Frankfurt ist ihr derzeit die große Herbstausstellung der Schirn Kunsthalle gewidmet. Das einzige, was Gabriela Fridriksdottir Sorge macht, ist eine übertriebene Ängstlichkeit, die sie jetzt beobachtet, eine Angst vor Risiko, die jeden Fortschritt hemmt.

Ära der "Illusion"

Im Jänner 2009, als wenige Monate nach dem Bankencrash das isländische Parlament zum ersten Mal nach der Winterpause zusammentrat, trommelten Tausende Demonstranten auf Pfannen und Töpfen die konservative Regierung aus dem Amt. An vorderster Front mit dabei: die Künstlerin und Menschenrechtlerin Birgitta Jonsdottir. Seit zwei Jahren sitzt sie jetzt im isländischen Parlament, im Althing. Und sie stellt fest: Von der Aufbruchsstimmung von damals ist nicht mehr viel zu spüren:

"Zu meinem Entsetzen wünschen sich viele zurück in die Zeit vor dem Bankencrash", sagt sie, "sie wollen nicht glauben, dass diese Ära nur eine Illusion war. Man muss wissen: Es geht um das System. Es waren nämlich gute Leute, die an die Macht gekommen sind, aber sie sind mutiert."

In Umbruchsphase

Einen zweiten Energieschub braucht das Land, meint auch Kristján B. Jónasson vom isländischen Verlegerverband. Allerdings: Auch den Künstlern und Intellektuellen ist offenbar die Luft ausgegangen, meint er. Viele hätten sich damals zu Wort gemeldet, sagt er, jetzt, 2011, schweigen die meisten. Island stecke noch immer in einer Umbruchsphase, meint er.

Dass diese Umbruchphase mit einer vielfältigen und spannenden Literaturproduktion einhergeht, das wird man nächste Woche in Frankfurt sehen, wenn sich Island als Gastland der Buchmesse präsentiert.

Textfassung: Ruth Halle