Ein schwieriges Verhältnis

Die unklare Haltung der Türkei zu Syrien

In Syrien tötet, verhaftet, foltert das Regime täglich seine Bürger. Die internationale Gemeinschaft findet nicht zu einer gemeinsamen Haltung. Auch die Türkei, der man großen Einfluss auf Syrien nachsagt, tut nicht alles, was sie könnte, sagt die türkische Soziologieprofessorin und Syrienexpertin Senay Özden.

Mittagsjournal, 5.10.2011

Syrische Regimegegner misstrauen Erdogan

Die syrischen Regimegegner trauen dem türkischen Premierminister Erdogan nicht mehr, sagt Senay Özden. Bis zum Beginn der Proteste in Syrien vor bald sieben Monaten habe Erdogan als eine Art Leitfigur gegolten, als Freund der Palästinenser, als großer Unterstützer einer Demokratisierung der arabischen Welt. "Inzwischen glauben sie, dass Erdogan nur redet und nichts tut. Sie glauben nicht, dass er genügend Druck auf Damaskus ausübt. Beweis dafür sind unter anderem die syrischen Flüchtlingslager in der Türkei."

Keine Öffentlichkeit für syrische Flüchtlinge

Die Syrer dort seien de facto eingesperrt, niemand dürfe zu ihnen, keine Journalisten, keine NGOs. "Die Frage ist, warum verhindert die türkische Regierung den Zugang zu den Geschichten der Syrer, zu dem, was sie durchgemacht haben? Es wären Berichte aus erster Hand. Gibt es einen Grund dafür, dass die Welt sie nicht erfahren darf?"

Wirtschaftsfaktor Syrien

Verbal mache die Türkei sehr wohl Druck auf Syrien, aber eben auch nicht konsequent, meint Senay Özden. Erdogan sage heute: Jetzt reicht es! Und eine Woche später: Wir müssen der Assad-Regierung mehr Zeit geben. So wie viele Staaten, die USA, Israel und andere, sei auch die Türkei an einem stabilen Syrien interessiert, und unter der Herrschaft von Bashar al Assad - so brutal sie ist - ist Syrien stabil. "Und natürlich sind für die Türkei die Wirtschaftsbeziehungen mit Syrien wichtig, die in den letzten Jahren enorm zugenommen haben. Dazu braucht es ein stabiles Syrien. Und zweitens ist da die Sorge: Wenn es einen Regimewechsel geben sollte, was heißt das für die ganze Region? Für die Beziehungen zum Iran, für die Palästinenserfrage, Libanon, Jordanien usw.

Was haben die syrischen Kurden vor?

Und ein dritter wichtiger Punkt für die Türkei, betont Senay Özden, sei natürlich die Kurdenfrage. Die Frage, was ein Regimewechsel diesbezüglich bedeuten kann? Die syrischen Kurden haben bis jetzt keine klare Position bezogen. "Werden sie Autonomie verlangen? Könnte ein autonomes syrisches Kurdistan entstehen? Was würde das für die Türkei bedeuten? Solange hier nicht Klarheit herrscht, bleibt die türkische Regierung skeptisch."

Assad-Nachfolger auf AKP-Linie

Und noch was sei Erdogan und seiner Regierung natürlich wichtig: Sie wollen sicher sein, dass, wer immer Assad nachfolgt, jede Führung oder Regierung, mit der türkischen AKP auf Linie ist. All das seien die Gründe für die unklare Politik der Türkei in Richtung Syrien, sagt Senay Özden, Soziologie-Professorin der Koc-Universität in Istanbul.