Mehr Zeit für journalistische Recherche gefordert
Neues Mediengesetz geplant
In das isländische Parlament ist nach der großen Krise Bewegung geraten, Bewegung im wahrsten Sinn des Wortes. "Die Bewegung" heißt die Partei, die aus der isländischen Bürgerbewegung hervorgegangen ist und die 2009 die alte Regierung zu Fall gebracht hat. Ganz vorn mit dabei: die Künstlerin und Menschenrechtlerin Birgitta Jonsdottir. Sie ist auch die Sprecherin für das neue isländische Mediengesetz.
9. April 2017, 17:51
Kulturjournal, 07.10.2011
Autorin, Künstlerin, Aktivistin, Webentwicklerin, Designerin steht auf der Website von Birgitta Jonsdottir. Allen voran steht ihr Name aber für die neue Medienfreiheit in Island. Von den Turbulenzen nach dem Bankencrash sah sie sich in die Politik getrieben. Die Rolle der Autorin und der Politikerin sei eine ideale Ergänzung, mein Birgitta Jonsdottir, da und dort gehe es darum, den Überblick zu bewahren.
Seit April 2009 sitzt sie als Abgeordnete von "Hreyfingin" im Parlament, das heißt so viel wie "Die Bewegung". Das Wort "Partei" vermeidet Birgitta Jonsdottir ganz bewusst: "Wir wollen die Dinge einfach halten. Die Parteien sind Institutionen mit sehr hierarchischen Strukturen, sie sind mächtiger als die Leute, die sie repräsentieren, und diese Leute haben keinen Einfluss auf die Entscheidungen, auch nicht wenn sie bei der Partei dabei sind. Wir wollen die Leute zu Eigenverantwortung ermutigen, dass sie ihre demokratischen Rechte wahrnehmen und die Gesellschaft mitgestalten, in der sie leben. Genau darum geht es jetzt."
Korruption und Misswirtschaft früher aufdecken
Es war vor knapp drei Jahren, als Tausende Menschen gegen das Krisenmanagement der Regierung nach dem Zusammenbruch der drei größten isländischen Banken lautstark demonstrierten und Tomaten und Eier auf das Parlamentsgebäude Althing warfen. Das hatte es bis dato in Island nicht gegeben. Das Problem ist, dass das Land so klein ist, meint Birgitta Jonsdottir, bei 310.000 Einwohnern ist es sehr schwierig, Missstände aufzudecken, die Medien sind in der Hand von wenigen und es gibt auch keine richtigen Gesetze für Whistleblower.
Birgitta Jonsdottir und ihre Mitstreiter forderten ein neues Mediengesetz für Island, damit Korruption und Misswirtschaft in Zukunft früher aufgedeckt werden. Ein Gesetz für den Schutz der Journalisten vor Verleumdungsklagen, für die Stärkung von Informanten und gegen die Zensur von Presseberichten. Die besten Gesetze der Welt sollen in der "Islandic Modern Media Initiaive" zusammengeführt werden, ein Gesetz, das zum europäischen Standard werden sollte, wie Birgitta Jonsdottir meint. Die ersten Schritte sind gesetzt.
Macht sich das neue Gesetz schon bemerkbar? "Noch nicht", sagt sie, "aber es geht nicht darum mit einem Schlag alles zu verändern, wir wollen vielmehr eine neue Kultur schaffen, ein Bewusstsein dafür, wie wichtig guter Journalismus ist, das heißt, dass Journalisten auch genug Zeit für Recherchen haben. Das ist die Voraussetzung für politische und wirtschaftliche Transparenz. Und nicht zuletzt wollen wir Island auch für Internetmedien und Datenzentren attraktiv machen."
Mitarbeit bei WikiLeaks
Bereits jetzt ist Island ein wichtiger Rückhalt für WikiLeaks. Birgitta Jonsdottir war früher eine kämpferische Aktivistin. "Collateral Murder", das ursprünglich geheime Video über amerikanische Luftangriffe auf Bagdad am 12. Juli 2007, ein Video, das aus der Sicht einer Bordkamera zeigt, wie amerikanische Soldaten aus einem Hubschrauber heraus wahllos auf irakische Zivilisten schießen, wurde in Island bearbeitet und von da aus verbreitet. Birgitta Jonsdottir wird im Abspann als "co-producer / script" genannt.
Aus dem Kreis der aktiven Sympathisanten hat sich Birgitta Jonsdottir nach Zerwürfnissen mit WikiLieaks-Herausgber Julian Assange zurückgezogen, die Initiative von WikiLeaks unterstützt sie nach wie vor. "Alle Regierungsdokumente müssen über das Internet zugänglich sein", meint Birgitta Jonsdottir, es gebe keinen Grund für geheime Dokumente. Gerüchten, dass die WikiLeaks-Server in Island stehen, widerspricht sie allerdings.
Online-Mitarbeit an neuer Verfassung
Heute engagiert sich Birgitta Jonsdottir vor allem für eine offenere Gestaltung der parlamentarischen Arbeit. Die Bevölkerung müsse zu mehr Engagement inspiriert und dort abgeholt werden, wo sie sich immer mehr aufhält - und zwar in sozialen Online-Netzwerken wie Facebook und Twitter. Über diese beiden Plattformen konnten übrigens im Sommer Bürger online an einer neuen Verfassung für Island mitarbeiten. Schließlich, meint Birgitta Jonsdottir, "werden wir nie die Gesellschaft werden, von der wir träumen, wenn wir nicht selbst mit anpacken".
Textfassung: Ruth Halle
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