Faszinierende Sogwirkung

Eva Blimlinger über Kunst

"Wenn ich etwas betrachte, dann ist das in einem gewissen Muße-Zustand, und wenn ich den verlasse, dann schau ich es genauer an - dann schau ich hin." Eva Blimlinger schaut ganz genau "hin" - wenn es um Kunst geht.

Eva Blimlinger, Historikerin

Was ist das? Interessant!

Seit wenigen Tagen ist die studierte Historikerin die neue Rektorin der Akademie der bildenden Künste am Wiener Schillerplatz. Der Anblick von Kunst und die Einsicht in den schöpferischen Prozess ist ihr nicht nur von Berufs wegen oberstes Anliegen: Beim Betrachten eines Bildes lässt sich Blimlinger zunächst ganz von ihren Empfindungen leiten, erst im zweiten Schritt erfolgt dann eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Werk:

"Ich entdecke im Hinschauen, im Betrachten etwas, was mich interessiert, oder wo ich irritiert bin, oder wo ich zum Beispiel auch lachen kann, also wo eine bestimmte Emotion ausgelöst wird, mit der ich dann weiter tue mit dem Kunstwerk und mir denke: Ha? Was ist das? Interessant!"

Der Sog der "Malkunst"

In jeder Biografie scheint es Momente zu geben, in denen der Grundstein für eine Entwicklung gelegt, ein Weg erstmals beschritten oder eine Haltung geprägt wird. Einen solchen Moment erlebte Eva Blimlinger, als sie mit Anfang zwanzig im Kunsthistorischen Museum vor einem bestimmten Bild stand:

"Da war eines der zentralen Werke, das ich immer wieder angeschaut habe, die 'Malkunst' von Vermeer, die mich als Bild fasziniert hat: Ein Werk, das sicher meine Art zu schauen, etwas anzuschauen beeinflusst hat." Ein "Sog" sei es gewesen, sagt Eva Blimlinger: ein Sog, der sie gleichsam in das Bild hineingezogen und auf eine Zeitreise entführt habe:

"Es ist ein Bild, das mich auf den ersten Blick gar nicht so angesprochen hat, aber dann waren da die Details, die Schatten, die Situation, auch die relative Kleinheit des Bildes, wo ich immer das Gefühl hatte, immer noch ein wenig näher hinzugehen, um noch ein weiteres Detail zu sehen. Es war der Sog, genauer hinzusehen, mich in das Bild und damit auch in diese Zeit hinein zu bewegen."

Die Idee dahinter

Die "Sogwirkung", die Eva Blimlinger als das Faszinierende an einem Kunstwerk beschreibt, gibt es genauso in der Gegenwartskunst: "Auf der Biennale in Venedig wurden im polnischen Pavillon drei Filme gezeigt, es ging um eine Aktion, die vertriebenen Juden wieder nach Polen zu holen, einen Kibbuz im Warschauer Ghetto zu errichten. Man geht durch die Biennale von Pavillon zu Pavillon, aber bei dem blieb ich stehen, denn da war der Sog der Idee, da denke ich mir, darüber will ich mehr wissen, und ich beginne, mich auf meine Art damit auseinanderzusetzen."

Ob es sich um ein schwarzes Quadrat handelt oder um ausgeklügelte Performancekunst - Eva Blimlinger interessiert die Idee hinter einer künstlerischen Ausdrucksform, und mit welchen Mitteln diese Idee umgesetzt wird. Als Beispiel führt sie die Aktionen der serbischen Künstlerin Tanja Ostojic an, die hierzulande im Dezember 2005 mit ihren EU-Plakaten auf sich aufmerksam machte: Darauf war der Unterleib der Künstlerin in blauem Slip mit den EU-Sternen zu sehen. Ostojic' Idee, so Blimlinger, war es, den benachteiligten Status von Frauen zu kritisieren, die außerhalb der EU leben:

"Sie hat 2000 bis 2003 eine Aktion gemacht, wo sie einen Mann mit einem EU-Pass gesucht hat, den sie dann auch tatsächlich geheiratet hat, - das war die Aktion 'Looking for a husband for the EU-passport', um den dann zu heiraten und dann die Möglichkeit zu haben, in die EU einzureisen; sie hat eine Aktion auf der Biennale gemacht und damals Harald Szeemann auf Schritt und Tritt begleitet, wo sie ihn immer angelächelt hat. - Er hat das damals nicht sehr goutiert... - Ostojic hat also diese Idee: Wie ist die Position von Frauen, die - in ihrem Fall - aus Serbien kommen, aber auch aus anderen Drittstaaten, etwa aus dem arabischen Raum. Sie hat eine bestimmte Idee und setzt diese als Performancekünstlerin um."

Der Blick auf die Welt

Ein weiterer Künstler, Christian Ruschitzka, verfolgt konsequent die Idee, "Verdichtung und Reduktion" darzustellen, was eher theoretisch anmutet, die Umsetzung ist indes abenteuerlich: Der Künstler im isländischen Eismeer: "Es ist eine Aktion aus 2008, sie heißt 'Mechanische Landschaft': Ruschitzka sitzt in Island auf einer ziemlich hohen Eisscholle und versucht mit eigens für diesen Zweck konstruierten Rudern mit dieser Eisscholle, die immer kleiner wird, zu rudern, Das Verdichten und Reduzieren sind seine Leitprinzipien, die sich durch seine Arbeiten ziehen."

Ob Kunst die Welt verändern kann, diese Frage steht für Eva Blimlinger nicht im Zentrum, für sie zählt der Blick auf die Welt - und die Art, sich zu dieser Welt in Beziehung zu bringen:

"Genauso wie ich als Historikerin gerne wissenschaftlich arbeite und kein Archiv betreten darf, sonst komme ich dort stundenlang nicht mehr raus, ist es die Form, das Material, die Vorgangsweise der Künstlerin, des Künstlers, die mich faszinieren. Es geht immer darum: Was hat man für Vorstellungen von der Welt, was will man tun? Es geht darum, ein Ausdrucksmittel zu finden: Wie find ich meinen Weg?"