Zum Welternährungstag am 16. Oktober
Food Crash
Felix zu Löwenstein weiß, wovon er schreibt. Der promovierte Landwirt führt selbst einen 130-Hektar-Betrieb. Nach sechs Jahren konventioneller Bewirtschaftung hat er seinen Betrieb vor 20 Jahren auf Öko-Landbau umgestellt.
8. April 2017, 21:58
Löwenstein weiß aber auch, mit welchen Problemen Kleinbauern in anderen Ländern zu kämpfen haben. Er hat in Haiti, im Tschad, Burkina Faso und im Kongo Landwirtschaftsprojekte geleitet. Und als Vorsitzender des Bundes Ökologischer Landwirtschaft kennt er auch die Politik und ihre Spielregeln.
Plädoyer für eine Änderung
"Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr" lautet der Untertitel seines Buches "Food Crash", ein 300 Seiten starkes Plädoyer für eine umfassende Änderung unser Ernährungs- und Produktionsmuster. Gut zu lesen, sehr anregend und nicht zuletzt dank der ausführlichen Quellenangaben auch sehr überzeugend.
Im ersten Teil zeigt Löwenstein, dass die Frage konventionelle oder biologische Landwirtschaft zwar eine sehr wichtige, aber nicht die entscheidende ist.
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Wenn es uns nicht gelingt, die Ausbreitung des westlichen Lebensstils mit seinem hohen Fleischkonsum, seiner Überernähung und seiner Lebensmittelvernichtung zu verhindern, dann gibt es keine technische Lösung, die den Zusammenbruch des Ernährungssystems verhindert.
Kaputte Böden
Wir befinden uns mit der konventionellen Landwirtschaft auf einem Weg, der die Lebensgrundlagen aller künftigen Generationen bedroht, denn die wichtigsten Ressourcen werden vernichtet, zum Beispiel die Böden:
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Wir zerstören mit unserer großflächigen, modernen und leistungsfähigen Landwirtschaft heute mehr an Boden als alle Generationen vor uns.
Zwischen 1950 und 1990 sind ein Drittel aller fruchtbaren Böden weltweit verloren gegangen. Auch Wasser wird knapp, im spanischen Almeria beispielsweise werden die riesigen Treibhäuser mittlerweile mit Wasser aus 1000 Meter Tiefe bewässert.
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Diese in längst vergangen erdgeschichtlichen Epochen entstandenen Wasservorräte kann man nutzen. Einmal. Dann sind sie weg. Aber wenigstens haben wir bis dahin noch höchst erschwingliche Tomaten im Dezember.
Insektizide, die bei Monokulturen erforderlich sind, haben zu einem weltweiten Bienensterben geführt.
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Einige Bienenarten sind mittlerweile komplett ausgestorben, anderen Arten wurden seit den 70er Jahren um bis zu 70 Prozent reduziert.
Vergiftung der Meere durch Dünger
Während sich der ökologische Landbau um geschlossene Nährstoffkreisläufe bemüht, ist die konventionelle Landwirtschaft auf Gedeih und Verderb auf Gaben von Stickstoff und Phosphat angewiesen. Diese Stoffe gelangen von den Feldern in Flüsse, Seen und ins Meer. So ist durch die hohen Stoffeinträge in die Ostsee zum Beispiel der Ostseekabeljau extrem bedroht.
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Die Wissenschaftler beziffern den jährlichen Stickstoffeintrag in die Ostsee mit 1,4 Millionen Tonnen, den von Phosphat mit 600.000 Tonnen. Wollte man diese Düngemittel per Lkw transportieren, müsste man auf der kompletten Strecke von Travemünde bis Palermo Lastwagen an Lastwagen reihen - und zusätzlich noch alle Parkplätze Siziliens füllen...!
Ökologische Intensivierung
Das Gegenmodell zur konventionellen Landwirtschaft und der mit enormen Forschungsgeldern geförderten Gentechnik sieht Löwenstein in einem Konzept, das er "Ökologische Intensivierung" nennt. Sie trägt in seinen Augen die Innovationskraft in sich,...
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... die erforderlich ist, um alle Menschen auf diesem Planeten dauerhaft mit ausreichenden und qualitativ hochwertigen Lebensmitteln zu versorgen. Und zwar alle Menschen, die heute auf ihm leben - und die 219.000 Menschen, die an jedem neuen Tag hinzukommen.
Unter "Ökologischer Intensivierung" versteht Löwenstein Landnutzungsformen, die gemeinsam von Wissenschaftlern, Bäuerinnen und Bauern fortentwickelt werden. Mit dem Erfahrungswissen der Kleinbauern, die nach wie vor 70 Prozent der weltweiten Lebensmittel produzieren, sollen die vorhandenen natürlichen Ressourcen geschickt genutzt und hohe Erträge erwirtschaftet werden.
Dass dies möglich ist, zeigt Löwenstein anhand von Erfolgsstorys aus Haiti, den Philippinen und Äthiopien, wo mit diesem Konzept hohe Erträge, Artenvielfalt und langfristige Bodengesundheit erzielt werden konnten. Da etwa zwei Drittel aller Hungernden auf dem Land leben, bietet dieses Konzept auch den Ansatz zur Bekämpfung des Hungers.
Politik gefordert
Um zu einer Umstellung der globalen Nahrungsmittelerzeugung zu kommen, müsste zunächst die Politik das Marktversagen korrigieren. Sie müsste verhindern, dass die Kosten für die gewaltigen Schäden, die durch die Belastung mit giftigen Chemikalien entstehen oder durch den Verlust an Boden und Biodiversität der Allgemeinheit aufgebürdet werden.
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Wo nachhaltiges Wirtschaften belohnt wird, da rentiert es sich, Allgemeingüter und Lebenschancen künftiger Generationen nicht zu schädigen.
Löwenstein schlägt vor, eine Steuer auf Stickstoff und Eiweißfuttermittel zu erheben und gleichzeitig den Anbau von Leguminosen - Pflanzen, die den Luft-Stickstoff binden können - zu fördern. Diese Maßnahmen, so ist er überzeugt...
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...fördern eine Landwirtschaft, die sich auf die Energie der Sonne stützt und benachteiligen eine Landwirtschaft, deren Basis fossile Energien bilden.
Jede/r muss sein Teil beitragen
Zum Abschluss fordert Löwenstein seine Leser auf, selbst aktiv zu werden, um den Food Crash zu vermeiden. Sehr kompliziert hört sich das nicht an. Man soll regionale und saisonale Lebensmittel aus biologischer Landwirtschaft kaufen, weniger Fleisch essen, möglichst viel Nahrung selbst erzeugen - sei es auf dem Fensterbrett oder im Selbsternte-Beet - und Fertignahrungsmittel vermeidet.
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Wie wir uns ernähren, wie wir unseren Lebensstil gestalten und für welche Art von Landwirtschaft wir eintreten, ist keine nebensächliche Frage. Es ist neben den Ursachen und Folgen des Klimawandels die zentrale Zukunftsfrage der Menschheit. Sie spitzt sich zu, und sie ist an uns heute gestellt.
Service
Felix zu Löwenstein, "Food Crash. Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr", Pattloch Verlag
Welternährungstag
Pattloch - Food Crash