Hilde Spiels Roman neu aufgelegt
Verwirrung am Wolfgangsee
Das Salzkammergut war eine der Lebenslandschaften Hilde Spiels, vor allem die Gegend rund um den Wolfgangsee. Schon als junge Frau verbrachte die Autorin so manchen Sommer zwischen Strobler Strandbad und den Cafés von Sankt Wolfgang, und die eine oder andere Konfusion der Gefühle, die sie dort erlebt haben mag, wird wohl Pate gestanden haben bei der Entstehung von Hilde Spiels Roman.
8. April 2017, 21:58
"Verwirrung am Wolfgangsee" ist in politisch bewegter Zeit entstanden: Mitte der 1930er Jahre. Hilde Spiel war gerade einmal 24 Jahre alt, als sie den Roman in einem Leipziger Verlag publizierte. Eine beachtliche Talentprobe, wie man auch ein dreiviertel Jahrhundert nach dem Erscheinen des Romans feststellen darf.
Ferienreise nach Österreich
Es handelt sich um eine luftig-leichte Sommergeschichte, mit der Hilde Spiel da aufwartet, bemerkenswerterweise aus der Perspektive eines männlichen Ich-Erzählers vorgetragen. Ein junger Belgier namens Vincent unternimmt zusammen mit seinem Freund Pierre und einem älteren, nicht besonders lebenstüchtigen Schullehrer eine Ferienreise nach Österreich. Die drei Touristen landen in Sankt Wolfgang, wo sie bei einer Bootspartie zwei junge Wienerinnen kennenlernen, Therese und Gundel.
Zitat
Nach einer Weile schwang sich Gundel in den Kahn. Sie schlüpfte in den Bademantel, strich sich eine nasse Strähne aus der Stirn. Wir trieben nun, Boot an Boot, immer näher zum Ufer. Die Sonne sank, der Wind war übers Gebirg geflogen, und die Segler lagen ruhig im See.
"Sie finden es schön bei uns!", sagte eines der Mädchen.
"Hinreißend", rief Pierre."
Verzauberung des Sommers
Mit leichter Hand schildert Hilde Spiel, wie die jungen Leute sich näherkommen. In Sankt Wolfgang, damals noch wirklich mondän, tummeln sich Amerikaner, Balten, Briten und Franzosen. Und Gundel und Therese, die beiden Wienerinnen, verstehen es, ihre belgischen Verehrer zu bezaubern.
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Die Mädchen kamen den Weg herunter. Wie sie gingen! Da gab es kein Hüpfen und Wiegen und Auf-den-Zehen-Wippen, sie schritten aus mit ihren langen Beinen, Gundel immer ein wenig voran.
"Wir wollen schwimmen!" Sie riefen es schon von fern. Therese hatte weiße Hosen an. Um Gundels Beine schwang ein Rock, ihren Oberkörper umgaben das goldbraune Schwimmtrikot und ein schwarzes Tuch, das sie um die Achselspangen geknotet hatte. Therese war jünglingshaft mit dem halblangen Haar, Gundel ein Knabe, der in Mädchenkleidern steckte. Sie trugen keinen Schmuck.
Vinzent und Pierre können sich nicht entscheiden, in welches der Mädchen sie sich jeweils verlieben sollen. Vice versa gilt das Gleiche. Auf dem Höhepunkt der emotionalen Verwirrungen ergreifen die Belgier die Flucht. Sie reisen weiter nach Lambach, Linz und Wien - und kehren nach wenigen Tagen doch reumütig an den Wolfgangsee zurück.
Bäumchen-wechsle-dich
Stilsicher und mit einem beachtlichen Gespür für die Macht der Zwischentöne läßt Hilde Spiel die jungen Leute einander umtänzeln und umschwänzeln, auf für heutige Begriffe unerhört keusche Weise übrigens. Ob im Strobler Casino oder beim Kammermusik-Konzert in der Edelschmidt-Villa: Pierre nähert sich mit schamhaftem Charme Therese an und Vincent dem Fräulein Gundel, einen Tag später heißt's Bäumchen-wechsle-dich und wieder einen halben Tag später ist alles noch einmal ganz anders: eine verwirrende Mischkulanz der Gefühle.
Dabei sind die politischen Ereignisse in Europa mehr als beunruhigend: In Deutschland hat soeben ein krakeelender Rechtsextremist die Macht übernommen, in Österreich herrscht eine halbfaschistische Diktatur, und der ganze Kontinent taumelt auf einen verheerenden Krieg zu, aber das weiß zu diesem Zeitpunkt natürlich noch niemand. Das politische Donnergrollen aus den Hauptstädten Europas dringt in Hilde Spiels Roman nur als fernes Echo in die sommerliche Idylle des Salzkammerguts vor.
Zitat
Die Mädchen lagen ermattet auf dem Bootsrand. Gundels Arm, kühl und leicht rau von der Brise, streifte meine Schulter. Therese lehnt an Pierres Bein. (...)
"Da sitzen wir", klagt Therese, "und tun, als ob es nur unsere unnützen Gespräche gäbe über Bücher, Bilder und Musik. Wissen wir denn nicht..."
"Doch", rufe ich, "alles wissen wir, Therese. Aber eben darum..."
Pierre fällt mir ins Wort.
"Wir brauchen diesen Sommer", sagt er. "Verstehen Sie doch, wir brauchen ihn, wie er ist. Mit seinen vergänglichen, kleinen Gefühlen, mit seinen harmlosen Scherzen, mit seinen müßigen Freuden, mit seiner unsinnigen Ernsthaftigkeit."
"Leicht und melodiös"
Hilde Spiels Roman wurde, als er 1935 erschien, freundlich aufgenommen. Auch Hermann Hesse hat das Buch gelobt. Der Autor des "Steppenwolf" schrieb über das Werk der jungen Kollegin aus Österreich: "Eine reizvolle, spielerisch-graziöse Sommer- oder Feriengeschichte von jungen Menschen, Autofahrten, Flirts, Gefühlsverwirrung - das alles höchst begabt und lustig geschildert, leicht und melodiös.
Dem ist wenig hinzuzufügen. Hilde Spiels Roman bezaubert auch heute noch, gerade, weil so wenig direkt ausgesprochen wird in diesem Buch. "Verwirrung am Wolfgangsee" ist ein charmanter, anmutiger Sommerroman. Ein österreichisches "Schloss Gripsholm", wenn man so will.
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Hilde Spiel, "Verwirrung am Wolfgangsee", Milena-Verlag
Milena - Verwirrung am Wolfgangsee