Ansichten von Jonathan Safran Foer
Die Ethik des Essens von Tieren
Jonathan Safran Foer, geboren 1977, war schon davor kein Unbekannter, zwei Romane machten ihn auch im deutschen Sprachraum bekannt. Ein Sensationserfolg wurde dann aber ein Sachbuch: "Eating Animals", 2009 auf Englisch erschienen, 2010 als "Tiere essen" auf Deutsch.
8. April 2017, 21:58
Was da "passiert" sei mit dem Buch "Tiere essen", über 200.000 verkaufte Exemplare allein der deutschsprachigen Ausgabe, das sage mehr über die Zeit aus als über sein Buch, sagt Foer im Gespräch.
Die Leute haben genug von Essen voller Gesundheitsrisiken. Essen, das Werte verrät. Zerstörerisches Essen. Keine geläufigen Wendungen. Aber darum geht es in Foers Buch "Tiere essen". Um die Werte, für die Essen steht. Um die Geschichten, sichtbare und unsichtbare, hinter dem Essen.
Irritierende Fragen der Kinder
"Tiere essen" beginnt mit der Großmutter, die den Zweiten Weltkrieg in Osteuropa, auf der Flucht vor den Nazis, überlebte, in dem sie Abfälle aß und noch vieles andere. Essen ist gut, wenn es reichlich ist, gab sie ihren Kindern und Enkeln weiter. Als Jonathan Safran Foer geboren wurde, fragte sie als erstes, wie viel Gramm das Neugeborene wog.
Aber was sollte Foer seinem Kind weitergeben, welche Werte, welche Geschichten? Tiere zu essen, die gefiederten, pelzigen, geschuppten Freunde, das verstört Kinder, beobachtet Jonathan Safran Foer. Ihre Fragen irritieren die Eltern.
Zitat
Auf jedes "Warum" muss man eine Antwort finden, und oft fällt uns keine gute Antwort ein. Also sagt man einfach, "darum". Oder man erzählt eine Geschichte, von der man weiß, dass sie nicht stimmt.
"Horrorfilm" Massentierhaltung
Sagen wir unseren Kindern von den Käfigen, in denen Schweine sich nicht einmal umdrehen können? Sagen wir ihnen, was "Freiland" wirklich bedeutet in der Massentierhaltung? Sagen wir ihnen von den männlichen Küken der Legehennen, die vergast werden oder auf Haufen geworfen, bis sie ersticken?
"Ich glaube, heute haben die meisten Leute eine vage Vorstellung, sie wissen, wenn sie einen Film über eine Farm sehen, dass es ein Horrorfilm ist. Aber es gibt einen riesigen Unterschied zwischen etwas ungefähr wissen, und die Details wissen, in denen, wie man sagt, der Teufel steckt. Diese Details herauszufinden ist sehr schwierig, weil die Fleischindustrie sich nicht in die Karten schauen lässt. Sie geben kaum Informationen heraus, und was sie öffentlich machen, ist oft unehrlich. Also haben wir weiterhin vage Vorstellungen, dass Fleischkonsum wahrscheinlich nicht so gut ist. Aber viele Dinge, die wir im Leben tun, sind nicht so gut. Wenn man aber Details über die Fleischindustrie weiß - dass sie am allermeisten zum Treibhauseffekt beiträgt; dass sie Antibiotika füttert und dadurch für Menschen wirkungslos macht, dass sie Tiere auf eine Art und Weise behandelt, die bei Hunden und Katzen verboten wäre - sobald man diese Dinge weiß, ist es sehr viel schwieriger, sie zu ignorieren oder absichtlich zu verdrängen."
Auch und nicht zuletzt darum geht es in "Tiere essen". Um unsere Bewältigung von Dingen, die wir eigentlich wissen - oder doch nicht wissen? Nicht so genau wissen wollen?
"Wir sind gut darin, Dinge zu ignorieren, die für uns bequem sind", meint Foer, "wenn es einen Anreiz gibt, mit etwas weiterzumachen. Fleisch riecht gut, es schmeckt gut, es macht satt, es ist billig, es befriedigt. Bei den meisten Menschen spielt es eine Rolle in der Kultur der Familie, der nationalen Identität, vielleicht auch der religiösen Identität. Wir haben viele Anreize, Fleisch essen zu wollen, in anderen Worten: die Probleme nicht zu sehen oder zu vergessen, Dinge nicht zu verbinden, die eigentlich vor unseren Augen liegen."
Ausnahmen vom System
Aber: Kann man von uns, Konsumenten, verlangen, dass wir die Verantwortung dafür übernehmen, wie unser Essen produziert wurde? Die meisten von uns sind ja keine Biologen, Ökologen oder Tierärzte, sagt Jonathan Safran Foer:
"Es sollte nicht unsere Verantwortung sein, zu wissen, für welches Essen Tiere gequält werden und für welches nicht. Im Spielzeuggeschäft möchte man auch nicht Spielzeug kaufen können, das mit Bleifarbe bemalt ist, davor will man von der Regierung beschützt werden. Genauso sollten wir erwarten, dass wir gar nicht die Option haben, ein Tier zu essen, das in einem so kleinen Käfig gefangen war, dass es sich nicht rühren konnte, oder von einem Großbetrieb, der seinen Abfall einfach in dem Fluss kippt."
Bei der Nutztierhaltung drückt der Gesetzgeber die Augen zu, erlaubt Dinge, die in anderen Bereichen verboten und außerdem als barbarisch geächtet sind. Und doch gibt es wichtige Ausnahmen: Jonathan Safran Foer schildert Farmen, auf denen Tiere mit Würde behandelt werden, artgerecht leben können. Gerade solche Ausnahmen könnten aber das System stabilisieren, wie der amerikanische Jurist und Tierrechtsvertreter Gary Francione warnt. Sie machen es Konsumenten leichter, sich zu belügen: Gerade die Würstel, die mein Kind gerade isst, sie werden schon nicht aus den ärgsten Tierfabriken kommen. Die Eier im Fertiggericht werden doch nicht aus den schlimmsten Massenbetrieben stammen. Doch 99 Prozent des Fleisches in den USA stammt aus Massentierhaltung, in Deutschland 98 Prozent der Schweine und Hühner. In Österreich gibt es mehr Kleinbetriebe und Biobauern, aber der Löwenanteil des Fleischs stammt auch hier aus nicht artgerechter Haltung.
Fischfang ist "industriell organisierter Krieg"
Jonathan Safran Foer zog für sich die Konsequenz: Seit einigen Jahren isst er vegetarisch. Mit vielleicht überraschendem Zusatz: Nicht dass wir Tiere töten, sei falsch, sondern wie wir es tun. Das gilt übrigens auch für den Fischfang. Einen industriell organisierten Krieg nennt Foer ihn: Mit 50 Kilometer langen Netzen, mit Radar, Echoloten und GPS-Monitoren, die anzeigen, wenn ein Schwarm entkommen ist. Der euphemistisch sogenannte "Beifang" ist größer als der Fang. Garnelenkutter werfen 80 bis 90 Prozent ihrer Ernte tot über Bord. Über eine Seite lang zählt Jonathan Safran Foer die 145 Arten auf, die beim Thunfischfang ungenützt mitgetötet werden.
"Die industrielle Fleischproduktion ist nicht schlimmer als andere Dinge in der Welt, aber viele der Dinge, die uns am Herzen liegen, kommen dort zusammen", so Foer. "Weltweite Armut und Hunger, die von ihr mitversursacht wird. Die Vereinten Nationen haben festgestellt, dass die Fleischproduktion eine der zwei oder drei wichtigsten Ursachen für jedes Umweltproblem auf diesem Planeten ist. Luftverschmutzung, Wasserverschmutzung, Entwaldung, Verlust an Biodiversität. Wie ländliche Regionen durch Großfarmen zerstört werden, was den Ozeanen geschieht. Wenn man sich am Silvesterabend vornehmen will, etwas Gutes für die Welt zu tun, dann gibt es keinen besseren Vorsatz als den, seinen Speiseplan zu ändern. Mit nichts kann man so viel so leicht erreichen."
Moral wird nicht von Geschichte bestimmt
Vor fünf Jahren sei er noch oft gefragt worden, warum er eigentlich Vegetarier sei, erzählt Jonathan Safran Foer. Heute frage ihn kein Mensch mehr. Zu den ethischen Gründen - wie Tiere behandelt werden - ist ein Bewusstsein der globalen Fragen gekommen: Der Beitrag der Fleischproduktion zum Treibhauseffekt ist höher als der des Verkehrs, ergab vor ein paar Jahren eine seither viel diskutierte Studie der Welternährungsorganisation FAO.
Anderes ist schon länger bekannt: Der Mais oder das Soja im Futtermittel für europäische Rinder kommt zum Teil aus Übersee; in Form von Fleisch isst der wohlhabende Norden dem Süden die Nahrung weg. Viele gute Gründe gegen das Essen von Tieren beschreibt Jonathan Safran Foer in seinem Buch. Aber gehört es nicht seit Zehntausenden Jahren zum Menschsein?
"Würden Sie sagen, dass es menschlich ist, Sklaven zu halten? Würden Sie sagen, dass es menschlich ist, Frauen als minderwertig zu behandeln? Diese Dinge haben wir auch Zehntausende Jahre lang getan. Wir müssen uns nicht an der Geschichte orientieren, und auch nicht an der Natur, um unsere Moral zu steuern. Fortschritt hat fast immer darin bestanden, die Geschichte zu überwinden und unsere Natur zu überwinden, im Interesse dessen, was wir als richtig ansehen. Das ist eines der Dinge, die uns von Tieren unterscheiden: dass wir die Fähigkeit haben, zu Dingen nein zu sagen, auch wenn wir sie wollen, auf Grundlage unserer Überzeugungen."
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Jonathan Safran Foer, "Tiere essen", Kiepenheuer & Witsch