Besuch im Bolano-Archiv

Wer war Roberto Bolano?

Wenn ein Buch im letzten Jahrzehnt Furore gemacht hat, dann war es der Roman "2666" des chilenischen Autors Roberto Bolano. Dass das mehr als tausend Seiten starke und äußerst rätselhafte Werk postum veröffentlicht wurde, verstärkte noch die Legendenbildung rund um diese geheimnisvolle Schriftsteller-Persönlichkeit.

Seit Bolanos Ableben 2003 sind im höchst umfangreichen und chaotischen Nachlass noch weitere Romane aufgetaucht, zuletzt kam da etwa auf Deutsch "Das Dritte Reich" heraus. Dem Schweizer Literaturkritiker Stefan Zweifel wurde jetzt als erstem Außenstehenden der Zugang zum Bolano-Archiv gestattet.

Kulturjournal, 21.10.2011

Fünf Roman in einem

"Mit Roberto Bolanos Roman '2666' ist etwas wirklich Neues in die Welt gekommen", schrieb Ijoma Mangold bei Erscheinen des Buches 2009 im Feuilleton der "Zeit". Wäre es nach Bolano gegangen, wären die fünf unabhängig voneinander lesbaren Kapitel des Buches getrennt veröffentlicht worden. Tatsächlich sind diese nur zurückhaltend und auf ganz gefinkelte Weise miteinander verbunden. Was sich als Thema aber durch das Buch zieht, ist das Böse - so wie es bei einer Mordserie in Mexiko oder bei den Nazi-Gräueln in Osteuropa während des Zweiten Weltkriegs zutage trat.

Der Zweite Weltkrieg spielt auch in Bolanos Erstling "Das Dritte Reich" eine Rolle, der im Nachlass entdeckt wurde und erst Ende August auf Deutsch erschienen ist. Der Ich-Erzähler ist ein junger Deutscher, der dem titelgebenden Strategiespiel verfallen ist, in dem die Schlachten des Zweiten Weltkriegs nachgespielt werden. Im Bolano-Archiv fand der Literaturkritiker Stefan Zweifel nicht nur selbst gemalte Landkarten und Schlachtfelder Bolanos, sondern auch zahlreiche Briefe.

Er habe in ganz Europa mit Leuten, die ebenfalls "Das Dritte Reich" spielten, korrespondiert, sie haben sich per Post die Züge zugeschickt, erzählt Zweifel: "Zwischen diesen Aufzeichnungen findet man erste Entwürfe zu dem Roman 'Das Dritte Reich'."

Mit Kurzgeschichten bei Wettbewerben

Der gebürtige Chilene Roberto Bolano war mit seinen Eltern noch während seiner Jugend nach Mexiko ausgewandert, hatte dort schon früh begonnen, Gedichte zu schreiben und auch eine avantgardistische Literatengruppe mitbegründet.

Zum Roman fand Bolano erst nach seinem Umzug nach Spanien. 1986 ließ sich der damals 33-jährige Dichter, der sich zu jener Zeit noch mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielt, gemeinsam mit seiner Frau im Badeort Blanes, nördlich von Barcelona, nieder. Bald darauf kam sein Sohn zur Welt.

Mit Kurzgeschichten nahm Bolano an etlichen Schreibwettbewerben teil, die er vielfach auch gewonnen hat - teilweise sogar mehrmals mit ein und derselben Geschichte, die er unter verschiedenen Titeln eingeschickt hatte, sagt Stefan Zweifel.

Fiktive Lebensläufe

"Das Dritte Reich" hatte Bolano selbst damals aber unter Verschluss gehalten. International wahrgenommen wurde er deshalb erst mit dem Erscheinen seines Romans "Die wilden Detektive", wo er die Erinnerungen an seine wilden Dichterjahre in Mexiko verarbeitete.

Ein weitaus schmäleres Werk Bolanos wurde damals nur von einigen wenigen bemerkt, dabei war dieser Band mit dem seltsamen Namen "Die Nazi-Literatur in Amerika" bezeichnend für Bolanos Arbeitsweise, sammelten sich dort doch völlig erfundene Lebensläufe.

Neben dem Franzosen George Perec war es besonders ein Österreicher, der Bolano maßgeblich beeinflusst hat: In seiner Bibliothek fänden sich viele Werke von Thomas Bernhard, erzählt Zweifel, "etwa zwei Meter Thomas Bernhard!"

Bolano muss ein manischer, aber auch chaotischer Schreiber gewesen sein, der immer parallel an mehreren Entwürfen gearbeitet hat. Kurzgeschichten finden sich da umgearbeitet in Romanen wieder, vor langer Zeit angerissene Erzählstränge hat er oft nach Jahren erst wieder aufgegriffen und zu Ende geführt.

Kein Alkohol mehr

Bolano konnte seinen großen Ruhm nicht mehr auskosten, denn er erlag 2003, gerade einmal 50 Jahre alt, einem Leberleiden. Die langjährige Erkrankung hatte den ehemaligen Bohemien zu eiserner Disziplin gezwungen - nicht nur beim Schreiben.

"Man kennt viele Zeugnisse aus seinen letzten 20 Jahren, wo er sicher nicht mehr getrunken hat - weil er auch nicht mehr trinken durfte -, er hat auch nicht mehr Kaffee getrunken", so Zweifel. An Kaffeebohnen habe er zwar nur mehr gerochen, aber er habe weiter geraucht.

Sechster Teil zu "2666" entdeckt

Das riesige Bolano-Archiv mit seinen Abertausenden Seiten ist übrigens noch weit davon entfernt, vollständig erfasst zu sein. Schon vor Jahren wurde da ein weiteres Manuskript gefunden: Der Roman "Sinsabores" ist bereits auf Spanisch erschienen und soll nächstes Jahr auch auf Deutsch unter dem Titel "Die Heimlichkeiten des Polizisten" herauskommen.

Eine weitere Entdeckung, die wohl für Furore sorgen wird, haben die Nachlassverwalter erst unlängst gemacht: Es sei ein sechster Teil zu "2666", der aber so gut versteckt war, dass Zweifel nur eine Notiz sah, die darauf hinwies. Die Bolano-Fans wird das natürlich freuen. Bleibt nur die Frage, ob diese Veröffentlichungen im Sinne dieses Autors sind, für dessen Schaffen das Zurückhalten und Verschweigen von Informationen immer zentral waren.

Textfassung: Ruth Halle

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Wikipedia - Roberto Bolano