Nuruddin Farah zu Gast im Waldviertel

Literatur im Nebel

Jedes Jahr im Herbst wird Heidenreichstein im nördlichen Waldviertel zum Schauplatz des Festivals Literatur im Nebel. Eine Autorin oder ein Autor von Weltrang steht dabei jeweils im Mittelpunkt des Festivals, das in Kooperation zwischen der Stadtgemeinde Heidenreichstein und dem ORF stattfindet. Es gibt Lesungen mit prominenten Schauspielern und Diskussionen.

Kulturjournal, 24.10.2011

Anwärter für den Literaturnobelpreis

Am vergangenen Freitag und Samstag war der somalische Schriftsteller Nuruddin Farah zu Gast. Seit Jahrzehnten schreibt er über die gesellschaftlichen und politischen Zustände in seinem Geburtsland, und das, obwohl der Autor seit Mitte der 1970er-Jahre im Exil lebt. Drei Romantrilogien, die jeweils ein Kapitel in der jüngeren Geschichte Somalias behandeln, hat Farah bereits verfasst, seit Jahren gilt er als Anwärter für den Literaturnobelpreis.

Ein gescheiterter Staat

Wenn dem somalischen Autor Nuruddin Farah zwei Abende gewidmet sind, dann stehen automatisch auch das Land Somalia, seine Menschen und seine Geschichte im Mittelpunkt. Wenn westliche Medien über dieses Land berichten, dann meist in Form von Schreckensmeldungen. Somalia ist ein gescheiterter Staat, in dem seit Jahrzehnten ein Bürgerkrieg wütet, in dem Clans und radikale Islamisten um die Vorherrschaft kämpfen.

Farah, ein Verfechter des freien Denkens, floh bereits 1974 vor der politischen Verfolgung ins Exil - damals herrschte dort eine Diktatur sozialistischer Prägung. In seinen Gedanken hat Farah das Land allerdings nie verlassen: Er liebe Somalia wie sonst nur wenige, erklärt der Autor.

Falsches Bild von Somalia

Einen bedächtigen und dennoch überzeugten Eindruck macht Farah, wenn er über die Situation in Somalia spricht. Er habe sich den Anspruch gesetzt zu berichten, was dort wirklich vor sich gehe. Denn die wenigen Informationen, die sonst über das Land kursieren, seien falsch, so der Autor und diesjährige Gast bei Literatur im Nebel.

Drei Romantrilogien hat der Autor seit Ende der 1970er-Jahren geschrieben; während die erste in den Jahren der Diktatur spielt, haben die beiden anderen den Bürgerkrieg zum Generalthema, dessen Hintergründe und Auswirkungen auf die Menschen.

Repressionen gegen Frauen

Ein besonders wichtiges Thema in seinen Büchern ist die Repression gegen Frauen. In seinem Debütroman mit dem Titel "Aus einer gekrümmten Rippe", der 1970 erschienen ist, erzählt Farah etwa die Geschichte einer jungen Nomadin, die ihr Dorf und ihren Clan verlässt, um einer arrangierten Ehe zu entgehen.

Farahs Schriftstellerkollege und Freund Ilija Trojanow meint zu diesem Frühwerk des somalischen Schriftstellers: "Mit diesem ersten Roman offenbart sich etwas, was das Werk von Nuruddin Farah seitdem durchzieht – nämlich seine besondere Fähigkeit, über Frauen zu schreiben und auch der Perspektive von Frauen zu erzählen. Das war damals, als der Roman erschienen ist, eine Sensation, das hatte noch nie ein männlicher afrikanischer Autor versucht. Eine amerikanische Literaturkritikerin hat den wunderbaren Satz geschrieben: Nuruddin Farah feministisch zu nennen, ist eine Untertreibung."

Brandauer las aus "Links"

Auch Exil-Somalier, die nach Jahrzehnten wieder zurückkehren, sind oft Protagonisten in den Romanen von Farah. Wie etwa Jebleeh aus dem Roman "Links", der aus dem New Yorker Exil nach Mogadischu zurückkehrt. Zur Eröffnung des Festivals Literatur im Nebel las Klaus Maria Brandauer einen Ausschnitt aus diesem Roman, der auf Deutsch 2008 bei Suhrkamp erschienen ist.

Keine Monster

Er schreibe über Somalia, um eine Debatte in Gang zu bringen, erklärt Nuruddin Farah. Auch, wenn seine Bücher in Somalia derzeit freilich nicht zu bekommen sind, hofft er, dass seine Landsleute sie vielleicht in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren lesen, um sich ein Urteil bilden zu können. Die Somalier seien keine Monster, wie es von außen oft den Anschein habe, so der Autor.

Heuer hat Nuruddin Farah mit "Crossbones" den letzten Teil seiner dritten Trilogie herausgebracht. In diesem Roman führt er einige seiner Figuren aus den vergangenen Trilogien zusammen. Auf Deutsch wird "Crossbones" im kommenden Jahr erscheinen.