Ulrich Köhlers Afrika-Aufreger
"Schlafkrankheit" bei der Viennale
Einer der kontroversiellsten Filme auf der heurigen Berlinale war der deutsche Beitrag "Schlafkrankheit" von Ulrich Köhler. Während ein Teil der Kritiker in Anspielung auf den Titel von einer einschläfernden Dramaturgie sprach, gefiel den anderen der kritische Umgang mit dem Thema Entwicklungshilfe in Afrika. Die Jury jedenfalls schätzte den Film und zeichnete ihn mit dem Regiepreis aus. Jetzt ist der Film im Rahmen der Viennale zu sehen.
27. April 2017, 15:40
Kulturjournal, 25.10.2011
Lethargie und Schikanen
Seit Jahren schon lebt ein deutscher Arzt als Entwicklungshelfer mit seiner Frau in Kamerun. Es ist ein widersprüchliches Verhältnis, in dem die beiden zu ihrer Wahlheimat stehen. Zum einen lieben sie den Frieden und die Weite der Landschaft und die Einfachheit des Lebens weit weg von der westlichen Konkurrenzgesellschaft. Zum anderen sind sie frustriert über die Lethargie, die Korruption und die Schikanen der Behörden.
Regisseur Ulrich Köhler konnte bei der Beschreibung dieses Alltags auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Er ist in den 1970er Jahren im damaligen Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo aufgewachsen: "Meine Eltern sind Entwicklungshelfer und es gab den Wunsch meiner Eltern, dass ich mal einen Dokumentarfilm über ihre Arbeit mache. Das wollte ich damals auf keinen Fall machen, weil ich immer dachte: Film ein Afrika sollten Afrikaner drehen und das ist wieder nur so ein ausbeuterischer Akt, so einen Film in Afrika zu drehen als Europäer. Dann habe ich nach und nach gemerkt, dass mich das Thema nicht loslässt. Und habe dann auch einen Zugang gefunden, indem ich gesagt habe: Ich mache keinen Film über Afrika, sondern einen über Europäer in Afrika und ganz klar aus einer europäischen Perspektive zu erzählen."
Film macht Zeitsprung
Das Paar im Film beschließt die Rückkehr nach Europa, doch als es schließlich so weit ist, kann sich der Mann nicht losreißen und bleibt alleine zurück. An dieser Stelle macht der Film einen Zeitsprung von drei Jahren.
"Ich fand es sehr wichtig, dass wir unsere Hauptfigur verlieren, um sie dann als einen Fremden wiederzufinden. Weil der Film erzählt im Prinzip die Geschichte eines Menschen, der sich selbst verliert und der sich selbst fremd wird. Insofern fand ich's wichtig, dass wir den von außen wiederfinden - mit der klaren Perspektive einer zweiten Figur - und nicht einfach nur die Geschichte fortsetzen", so Köhler.
Idealismus abhanden gekommen
Diese zweite Figur ist der afrikanischstämmige Franzose Alex, der für die Weltgesundheitsorganisation ein Projekt zur Eindämmung der Schlafkrankheit evaluieren soll und dabei in Kamerun auf den deutschen Arzt trifft. Dem ist der einstige Idealismus gründlich abhanden gekommen.
Es ist ein äußerst kritischer Blick, den Köhler auf die Entwicklungshilfe wirft: "Ich glaube dieser ganze Gedanke der Nachhaltigkeit und der Hilfe zur Selbsthilfe, die sind bis jetzt nicht aufgegangen. Die Strukturen, die von Europäern in Afrika aufgebaut wurden, die tragen sich nicht selbst. Ich glaube daran, dass Menschen eigene Organisationsformen finden müssen, um Probleme zu lösen."
Genau beobachtet
Köhler schafft es, mit "Schlafkrankheit" einen ganz eigenen Ton anzuschlagen. In genau beobachteten, aber ganz beiläufig inszenierten Details erzählt er über die Zerrissenheit eines Lebens als Ausländer in Afrika.
Dabei verzichtet er auf Gutmenschentum und den erhobenen Zeigefinger. Stattdessen zieht er noch eine zusätzliche magische Ebene in seinen Film ein, die den Zauber spürbar werden lässt, dem viele Europäer in Afrika erliegen.
Textfassung: Rainer Elstner