"Café Sonntag"-Glosse von Joesi Prokopetz
Essen / Langsam
"Mein Gott, Kind, schling doch nicht so! Es frisst dir ja keiner was weg!"
8. April 2017, 21:58
Diese im Wohlklang des warnenden Hinweisens, in Tateinheit mit pädagogischer Besorgnis hingeseufzten Worte meiner Großmutter höre ich heute noch, wenn ich wieder einmal als Erster - und vor allem brav - alles z´sammg´essen habe.
Ich bin ein Schlinger, ich hau rein, ich speichle den Nahrungsbrei ungenügend ein, ich kaue beiläufig und schlucke große Bissen hinunter und wäre an Tafeln gräflicher Diners sofort als hungerleidender Proletarier denunziert. Ja, wie schon erwähnt, ich bin ein Schlinger, aber warum? Vielleicht, die Reiferen unter uns werden sich erinnern, liegt es daran, wenn man noch Kleinkind ist und essfaul (ich erinnere mich auch noch an die Antwort meine Großmutter, wenn sie, befragt, ob der Bub – also ich – eh brav wäre, sagte: "Ja, ja, muss schon gut sein, nur beim Essen macht er mir jedes Mal ein Theater.") also, wenn man als Kleinkind essfaul war, dass dann dieses blödsinnige Spiel gespielt wurde, um das verzehrunwillige Kind zu komplettem und vor allem schnellen Aufessen zu motivieren: "Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettelmann."
Wer als Erster mit Essen fertig war, war Kaiser, der zweite König, der saumselige, ausreichend einspeichelnde und gründliche kauende Letzte, war Bettelmann. In größeren Runden, da ging es nach dem Bettelmann scheinbar noch weiter bergab: Schuster, Schneider, Leinenweber, Kaufmann, Doktor, Totengräber. Dass der Totengräber gleich nach dem Doktor kam, ist, wie vermutlich dieses gesamte Sozialranking, aus der Zeit heraus zu verstehen, auf jeden Fall aber bemerkenswert. Natürlich wollte jeder Kaiser sein und nicht Bettelmann und Totengräber schon gar nicht, und so wurden bei mir die Weichen für ein Leben als Schlinger gestellt. Ich gehöre zur Kernzielgruppe für Fast Food, ich hab es zwar einmal mit Slow Food probiert, jedoch so slow kann Essen gar nicht sein, dass ich es nicht fast hinunterschlinge.
Obwohl (oder vielleicht gerade deshalb, weil) ich ein Einzelkind bin, hat sich bei mir auch ein unterbewusster Futterneid ausgeprägt. Wenn mich jemand fragt: "Deaf i kost´n?", lehne ich entschieden ab. Oder: "Lasst mir was über?" und gar wenn jemand fragt: "Teilen wir es uns?", kann es geschehen, dass ich mit Verbalinjurien verneine, die so gar nicht zum Essen passen wollen. Allerdings muss ich sagen, werden diese Ansinnen kaum an mich gestellt, denn bevor die letzten Silben einer solchen Frage ausgesprochen sind, habe ich schon fertig gegessen und mein Teller ist leer. Ich will alles und das sofort!
Ich halte es auch nur schwer aus mit Menschen, auch wenn sie durchaus zu meinem engeren Freundeskreis zählen mögen, die langsam essen. Es ist mir nicht möglich mit solchen Leuten essen zu gehen und dabei ein wertvolles Gespräch zu führen. Wenn ich sehe, wie jemand enervierend lange und gründlich kaut, dabei konzentriert schweigt und dann zwischen zwei Fleischfetzen das Besteck weglegt und bedächtig etwas sagt, während der Kellner bereits mein Gedeck abgeräumt hat, dann werde ich unruhig.
Ich höre gar nicht zu wenn der Langsam-Esser (meine Kusine, die extrem langsam gegessen hat, wurde von meiner Großmutter deswegen als "Zez´n" bezeichnet) ich höre nicht zu, wenn der Langsam-Esser etwas sagt, und wenn es Pulitzer-Preis verdächtig ist, denn ich denke in einem fort: "Jetzt friss doch schon endlich! Fass! Putz weg! Das muss ja schon kalt sein, das Fleisch riecht bereits komisch und das Gemüse beginnt zu verwelken!" Aber nein, der- oder diejenige sitzt da, schielt verliebt das Essen auf dem Teller an und nichts geht weiter! Und dann lassen diese Leute auch noch den letzten Bissen stehen! Wenn ich das gemacht habe als Kind, hat meine Großmutter gesagt: "No auf den Bissen kommt´s dir jetzt an, was? Da, Mund auf! Also, geht doch! Die armen Kinder in Russland wären froh, wenn die so was Gutes hätten." Bei meiner Großmutter waren es die russischen Kinder, die so arm waren, dass sie Zufütterung brauchten und nicht wie sonst üblich, die afrikanischen. Mein Einwand: "Omi, bis das halberte Fleischlaberl in Russland ist, ist es doch längst schlecht!", wurde von meiner Großmutter in den Wind gelacht. Haha.
Die Medizin gibt zwar vor zu wissen, dass Schlingen eine physio/psychologische Ess-Störung ist, haha Binge Eating oder Binge Eating Disorder nennen sie es, wo man zwanghaft so isst, als hätte man stets Heißhunger! Haha! Ich esse auch in affenartiger Geschwindigkeit, wenn ich gar keinen Hunger habe und ich vernichte zuerst ganz besonders schnell jene Bezirke am Teller, die mir nicht so schmecken, um dann das, worauf ich mich am meisten freue, unzerbissen hinunterwürgen zu können, haha. Das Gefühl der Sattheit, das mir signalisieren sollte, langsam zu essen oder gar: nicht mehr weiter zu essen, das überhöre ich gewissermaßen, das schlucke ich gleichsam mit hinunter. Harhar.
Was am Tisch kommt muss weg; im Idealfall noch bevor es richtig dasteht.
Ich habe mich nicht an die Spitze der Nahrungskette hinaufevolutioniert, um zögerlich zu essen! Ich bin the Fast and the Furious.
Essen und langsam, gehen bei mir getrennte Wege, denn schnell ist das neue langsam. Und jetzt genießen Sie geschwind den Sonntag, sonst geht er ganz schnell vorbei.