Hilfe auf der Alm

Bodo Hell und sein Mandlkalender

"Kunst muss einen - wie die Wissenschaft - gescheiter machen, wenn man sich damit beschäftigt, und nicht nur Bestätigungen liefern für das, was man schon zu wissen glaubt". (Bodo Hell)

Seit über dreißig Jahren verbindet der Schriftsteller zwei Lebensweisen zu einer geglückten Symbiose: In der einen Hälfte des Jahres lebt der gebürtige Salzburger als erfindungsfreudiger Sprachkünstler in Wien, die andere verbringt er mit Ziegen-Melken, Käse erzeugen und Rindvieh hüten auf seiner steirischen Alm am Dachstein. Gleichsam als Verbindungsglied zwischen diesen beiden Welten trägt Bodo Hell stets ein Heftchen mit sich: den "steirischen Mandlkalender".

Dieser kleine Kalender, ein Nachdruck des Originals aus dem 16.Jahrhundert, ist ein Kunstwerk, das ihn täglich "gescheiter zu machen" vermag, sagt Bodo Hell. Er enthält von anonymen Künstlern stark vereinfachte Darstellungen der verschiedenen Mondphasen, Tierkreiszeichen, Wettersymbole sowie eine Vielzahl von bunten Heiligenfiguren.

Mit Unterstützung der Heiligen

Hell kam erstmals auf seiner Alm mit dem Kalender in Berührung, ungeachtet des religiösen Wertes sind die Symbole des Jahreskreislaufs dort gewissermaßen von "praktischem" Nutzen.

"Ich hab diesen steirischen Mandlkalender kennengelernt, weil ihn die evangelischen Bauern in der steirischen Ramsau benützen, die eigentlich mit Heiligen gar nichts zu tun haben dürften. Und zwar benützen die ihn im Sinne der Wetteregeln. Bei welchem Zeichen man zum Beispiel die Tiere auf die untere Weide treibt, ist von großer Bedeutung, denn je nachdem, welche Bedeutung dem Zeichen zugeschrieben wird, so verhält sich das Vieh dann den ganzen Sommer!"

Sebastian, Severin, Notburga, Laurentius oder Katharina heißen die Heiligen im steirischen Mandlkalender. Jedes Mandl oder Weibl ist einem bestimmten Tag im Jahr zugeordnet, die Figur des Antonius liegt Bodo Hell besonders am Herzen: Ein Dasein als Eremit und der lebenslange Versuch, sinnvoll tätig zu sein, sind die Eigenarten, die dem Antonius zugeschrieben werden und die auch Bodo Hell immer wieder anstrebt.

Das "richtige" Leben

Der steirische Mandlkalender wurde ursprünglich für das Volk, das weder schreiben noch lesen konnte, gedruckt. Die Darstellungen aus der christlichen Mythologie wirken für Bodo Hell bisweilen wie bizarre Wunderbilder, die er immer wieder auch in eigene literarische Werke webt. Auch fasziniert ihn die ungeheure Vielfalt an Geschichten, die in den Bildern erzählt werden, und die eine ideale Grundlage für poetische Weiterverarbeitung bilden können.

Bodo Hell hat übrigens soeben ein eigenes "Calendarium" erstellt, das von der Jahresrhythmisierung des Mandlkalenders inspiriert ist: "immergrün" heißt der bei folio erschienene Bildband, den Hell gemeinsam mit der Künstlerin Linda Wolfsgruber gestaltet hat. Doch nicht bloß an alten Bräuchen, Mondbeobachtungen und allerlei Heiligenlegenden ist Bodo Hell gelegen, vielmehr findet er in der alten Ikonografie die alten philosophischen Fragen nach dem richtigen Leben wieder - Fragen, die er zuallererst an sich selbst richtet.

Service

Bodo Hell, Linda Wolfsgruber, "immergrün", folio Verlag