Keine Frauenliteratur von Margit Schreiner

Die Tiere von Paris

Anlässlich der Verleihung des Österreichischen Würdigungspreises für Literatur 2009 an Margit Schreiner formulierte die Laudatorin Daniela Strigl zehn Gebote. "Du sollst keine Frauenliteratur schreiben", lautete das zweite Gebot. Und Frauenliteratur schreibt Margit Schreiner fürwahr nicht. Auch wenn sie mit "Die Tiere von Paris" einen Roman vorlegt, der eine Frau zur Protagonistin hat.

Die moderne Patchwork-Familie

"Die Tiere von Paris" - der Titel bezieht sich auf eine wissenschaftliche Arbeit, die die Erzählerin in Paris schreibt - ist das Selbstgespräch einer Alleinerziehenden. Die Geschichte dreht sich um die Eckpunkte moderner Beziehungen – wer verzichtet worauf, wer trägt den Müll hinunter, wessen Arbeit steht im Mittelpunkt.

Margit Schreiners aktueller Roman ist, wenn man so will, eine Abhandlung über das Wesen der postmodernen Patchwork-Familie. Man heiratet, man wird schwanger, man lässt sich scheiden, man triff einen anderen Mann - auch er verheiratet und mit Kind - und versucht alles irgendwie in den Griff zu bekommen. "Flexibilität" ist das Schlagwort. Und immer wieder wird die Erzählerin, die ihr Leben in Du-Form berichtet, darüber klagen, wie schwer es ihr fällt, eben jene lebensnotwendige Flexibilität aufzubringen.

Reden hilft nicht immer

Paris, Wien, Tokio, das italienische Palestrina: Der Roman spielt an mehreren Orten, aber im Grunde haben die Orte keine Bedeutung, denn egal, wo auf der Welt sich die Protagonistin gerade befindet, ihre Gedanken kreisen stets um die Familie.

Alle drei Familienmitglieder bleiben namenlos. Vater und Mutter sind Intellektuelle, aber das macht auch keinen Unterschied. Das einzige, was sie von Nicht-Intellektuellen unterscheidet, ist die Überzeugung, ihre Angelegenheiten durch reden und verabreden besser in den Griff zu bekommen - eine Illusion, wie sich schnell herausstellt, denn schon bald fällt das Paar in die traditionellen Geschlechterrollen.

Nachdem das Kind geboren ist, arbeitet er immer mehr, sie hingegen ist zuhause und kann sich kaum ihren Projekten widmen. Sie solle sich nicht verkrampfen, lautet sein Rat und überhaupt: flexibler werden.

Zunehmende Entfremdung

Irgendwann bekommt sie die Einladung, für längere Zeit nach Italien zu ziehen, um dort an einem Buchprojekt zu arbeiten. Er kommt mit, obwohl sie lieber alleine mit ihrer Tochter gefahren wäre. Ihm gefällt das Leben im Mezzogiorno – schließlich können Männer dort noch richtige Männer sein und die Frauen haben sich zu fügen. Das Paar entfernt sich weiter und weiter voneinander und irgendwann beschließt sie, nach Wien zurückzukehren und sich von ihm zu trennen.

Leidtragende ist die Tochter. Jedes Jahr muss sie im Sommer mehrere Wochen bei ihrem Vater in Palestrina verbringen; und jedes Mal kommt sie verstört nach Hause zurück.

Ohne erhobenen Zeigefinger

Über Jahrzehnte hinweg beschreibt Schreiner das Leben ihrer Protagonistin. Der Kater, der aus Italien mit nach Wien genommen wird, der größer wird, der versucht, aus der Wohnung zu entkommen und schließlich stirbt. Die Tochter, die zwischen Vater und Mutter hin- und hergerissen ist, die Freundinnen findet und verliert, die irgendwann erfährt, dass sie eine Stiefschwester hat, die zu Ende des Romans Schauspielerin wird. Die Mutter, die heiratet, die sich scheiden lässt, die vom schlechten Gewissen geplagt wird, die sich verliebt, die eine Wohnung kauft. Margit Schreiner vermischt in ihrem Text gekonnt Banales und Aufregendes, das Alltägliche mit dem Außergewöhnlichen.

Die Autorin erzählt das Leben ihrer Protagonistin ungekünstelt und unaufgeregt. Ohne Schuldzuweisungen, ohne erhobenen Zeigefinger berichtet sie darüber, wie schwer es trotz aller Freiheiten und vermeintlicher Freiheiten ist für sich einen Weg in diesem Leben zu finden.

Der Kampf ums alltägliche Leben

Warum aber ist dieser Roman keine Frauenliteratur? Frauenliteratur sei nicht ganz einfach Literatur von Frauen, schreibt Daniela Strigl in der eingangs erwähnten Laudatio, sondern nicht wirklich ernst zu nehmende Literatur von Frauen. Es geht also weniger um den Inhalt als um die Ausrichtung des Textes. Beschreibt die Autorin etwas um darüber zu berichten, oder hat sie eine Intention? Und Texte, denen man ihre Agenda anmerkt, sind per se keine guten Texte. Egal, ob sie politisch, feministisch, ökologisch oder anti-ökonomisch ausgerichtet sind.

In der klassischen Frauenliteratur wird die Frau als Opfer gezeichnet. Sie ist eine, die von den Männern unterdrückt wird, die kämpft, aber verliert. Von solch schlichten Zuschreibungen ist "Die Tiere von Paris" weit entfernt. Hier geht es nicht darum, feministische Parabeln zu formulieren; nicht darum, die Welt in Gut und Böse einzuteilen, sondern zu zeigen, dass jeder - egal ob Mann oder Frau oder Kind - darum kämpft, sein Leben halbwegs ordentlich und glücklich zu leben. Und dass das mal besser und mal weniger gut gelingt.

Service

Margit Schreiner, "Die Tiere von Paris", Schöffling & Co.

Schöffling - Margit Schreiner