Leitfaden für Endzeit-Liebhaber
2012 oder wie ich lernte, den Weltuntergang zu lieben
Am 21. Dezember 2012 geht laut Maya-Kalender die Welt unter. Wieder einmal, könnte man sagen. Und: schade eigentlich, denn wozu haben wir jetzt Waldsterben, Tschernobyl, Ozonloch, Rinderwahn etc. überlebt, wenn's jetzt dann doch endgültig vorbei ist mit Mutter Erde? Dieser Frage widmet sich der deutsche Politikwissenschaftler Bernd Harder in seinem neuen Buch.
8. April 2017, 21:58
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Jeden Tag rückt er dem mystischen Datum ein wenig näher: Im Dezember 2012 endet der berühmte Kalender der Maya. Und mit ihm die Welt überhaupt? Viele sind sich jedenfalls sicher: Etwas wird passieren, wenn ein über 5000-jähriger Zyklus in der Zeitrechnung der untergegangenen Hochkultur ausläuft.
Kommen die Aliens?
Das Datum steht also fest, nur was genau passieren wird, darüber sind sich die Heerscharen an Weltuntergangspropheten uneins. Sogar die sonst recht selbstsichere "Bild"-Zeitung blieb in ihrer Vorausschau im Jahre 2008 ungewöhnlich vage und skizzierte drei Szenarien: erstens: die Ankunft von Außerirdischen, zweitens: eine weltweite Katastrophe, und drittens: den Aufstieg der Menschheit in eine höhere spirituelle Dimension.
Ein erklärter Anhänger der Alien-Theorie ist bekanntermaßen der berühmt-berüchtigte Prä-Astronautik-Forscher Erich von Däniken. Für den eloquenten Ex-Kellner und prächtig verdienenden Bestseller-Autor scheint das Szenario ganz klar zu sein: "Bolon Yokte" wird im Dezember 2012 zu uns hernieder steigen. Eine Hintertür lässt von Däniken freilich offen, wenn er ergänzt: "Daran glaube ich weiter – vielleicht stimmt der Kalender nur nicht."
Monument 6
Mit seinem Glauben an "Astronautengötter" steht er nicht alleine da. Der Grundstein dieser These wurde in den 1960er Jahren bei Bauarbeiten in Südmexiko freigelegt. Die Inschrift auf dem sogenannten "Monument 6" spricht tatsächlich von einem Ereignis, bei dem ausgerechnet der der Überlieferung nach relativ unbedeutende Maya-Gott Bolon Yokte eine tragende Rolle spielen wird. Wie er diese anlegen wird, bleibt allerdings ein Geheimnis, weil das Ende der Textpassage unleserlich geworden ist.
Gottseidank, möchte man hier anmerken, denn was wäre, wenn wir wirklich schon alles ganz genau wüssten und das Drehbuch zum Untergang vollkommen klar auf dem Tisch liegen würde? Der ganze Spaß an der Spekulation wäre weg und wir würden uns lediglich mit der Frage zu beschäftigen haben, ob's passiert oder nicht. Doch da sei Hollywood vor. Schließlich lässt sich nicht nur mit reißerischer Populärwissenschaft, sondern natürlich vor allem mit Untergangsfiktion im Blockbuster-Format massig Geld verdienen. Und Maya sei Dank ist es nächstes Jahr wieder so weit.
Nur nicht Nostradamus glauben
Interessanterweise scheint selbst dem "Para-Detektiv" Bernd Harder das Urwaldvolk "glaubhafter", als etwa Nostradamus, dessen dem jeweiligen Anlass angepasste, sehr freie Übersetzungen er schon im ersten Kapitel seines Buches leidenschaftlich zerpflückt.
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Das Rückgrat ihrer Wissenschaften bildete ein besonders hoch entwickeltes Kalendersystem, welches einerseits Ergebnis, aber auch Grundlage einer Astronomie war, die durch extrem lange und damit sehr präzise Himmelsbeobachtungen geprägt war und deren Erkenntnisse bis heute staunenswert sind.
Andererseits sprechen die Fakten eindeutig gegen die angeblichen Beweise von Autoren wie Graham Hancock. Dieser vertritt die Ansicht, dass es schon lange vor Kolumbus eine gemeinsame Kontinent-übergreifende Kultur gab, die durch eine Polverschiebung "schockgefrostet" wurde. Als Belege für diese verschollene "Super-Zivilisation", von der nur die Maya übrig blieben, nennen die Anhänger des "Hancockismus" etwa die sogenannte "Piri-Reis-Karte". Tatsächlich existiert eine auf den ersten Blick rätselhafte Zeichnung einer eisfreien Antarktis aus dem Jahr 1513, gestaltet vom türkischen Navigator Piri Reis. Seriöse Kartografen gehen allerdings davon aus, dass es sich beim Appendix Südamerikas schlicht um eine künstlerische Verzierung handelt.
Nichts für Mystiker
Für Skeptiker sind die mit trockenem Humor präsentierten Ausführungen Harders ein herzhafter Genuss. Mystiker werden den knallharten wissenschaftlichen Überführungen natürlich keinen Glauben schenken, sondern lieber weiter glauben - an das, was man halt glauben will.
Und es geht um nichts anderes, als ums Wollen, den willentlichen Zwang zur Interpretation. Wenn auf Tausende Jahre alten Grabplatten Kreise vorkommen, dann sind das Kugelraumschiffe. Wenn Götter mit Geweihen dargestellt werden, sind das Antennen. Und wenn in antiken Darstellungen Strahlen entdeckt werden, sind das garantiert Strahlen einer Rakete. Was sonst?
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Umgekehrte, auf den Kopf gestellte Science-Fiction nennen Kritiker das. Prä-Astronautik-Autoren projizieren also moderne technische Entwicklungen nach rückwärts, in die Vergangenheit.
Das Reich der Katastrophen-Spekulanten
Was - je nach Lesart - am 21. oder 23. Dezember 2012 passieren wird, wissen wir nicht. Das Datum selbst bedeutet nichts anderes als das Ende der "Langen Zählung" im Maya-Kalender. Dass mit diesem "Reset" das Ende der Welt einhergeht, ist reine Phantasie. Es könnte genauso gut schlicht als Jahrtausendwechsel interpretiert werden.
Mit großem Vergnügen rückt Bernd Harder sämtliche apokalyptischen Visionen dorthin, wo sie hingehören: ins Reich geschäftstüchtiger, westlicher Katastrophen-Spekulanten. Und wer bleibt wie so oft ungehört? Diejenigen, um die es eigentlich geht: die Maya. Sechs bis sieben Millionen leben derzeit in Mexiko, Guatemala, Belize und Honduras. Warum hat die eigentlich nie jemand gefragt? Weil keiner deren ernüchternde Antwort hören wollte? In Harders überaus gelungenem "Leitfaden für Endzeit-Liebhaber" wird dies konsequenterweise nachgeholt. Wir hören Apolinario Chile Pixtun, seines Zeichens Stammeshäuptling der Maya:
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Ich habe von diesem Zeug genug! Das sind post-koloniale Usurpatoren, die sich aus einer alten Kultur einfach alles herausreißen, was ihnen in den Kram passt. Ausgerechnet diejenigen, die am lautesten von der Spiritualität der Mayas schwärmen und permanent ihren großen Respekt für deren Kultur bekunden, scheinen gleichzeitig die zu sein, die den echten Maya am meisten auf den Nerv fallen.
Service
Bernd Harder, "2012 oder wie ich lernte, den Weltuntergang zu lieben. Leitfaden für Endzeit-Liebhaber", Herder Verlag
Herder - 2012