Neubelebung mit "Meek's Cutff"

Der Western

Sagt man "Western", dann fallen den meisten dazu sofort Schlüsselbilder ein: rauchende Colts und ein breitbeiniger John Wayne, stürzende Pferde und weitläufige Prärielandschaften. Als Genre hat sich der Western tief in das Bewusstsein des amerikanischen Kinos hinein gefressen.

Kein Wunder also, dass sich immer wieder Regisseure an den vor über einem halben Jahrhundert zur Blüte gebrachten Motiven abarbeiten, sie dekonstruieren oder paraphrasieren. Aktuell läuft ein herausragendes Beispiel für eine solche Western-Revision in den österreichischen Kinos an: in "Meek's Cutoff" zieht die amerikanische Regisseur Kelly Reichardt das Genre bis auf die Unterhose aus – und lässt einen Siedlertreck Mitte des 19. Jahrhunderts durch die lebensfeindlichen Graswelten Oregons ziehen. Das existenzialistische Pilgerdrama ist aber nur der jüngste Höhepunkt der alternativen Westernkultur.

Gefährliche Abkürzung

Ein Pilgertreck auf der Suche nach dem Glück, ein Irrgang durch ewig gleiche, bleiche Landschaften: "Meek's Cutoff" übersetzt sich als "Meek's Abkürzung" und meint eine legendäre Episode aus der Schlussphase des Wilden Westens. Mitte des 19. Jahrhunderts sollen sich Siedler auf die Expertise des landkundigen Meek verlassen haben. Der führt die Familien mit ihren Planwägen vom etablierten "Oregon Trail" ab, weil er meint, eine Abkürzung gefunden zu haben. Was folgt ist ein Leidensweg, ein verzweifeltes Suchen nach einer Wasserquelle, für die meisten der Tod durch Erschöpfung und Austrocknung.

Kelly Reichardt nimmt diese historische Episode und bereitet sie als Nukleus unseres heutigen Gesellschaftsverständnisses auf: Als die Gruppe einen amerikanischen Ureinwohner dazu nötigt, ihnen einen Weg zum Wasser aufzuzeigen, tut sich eine Kluft auf zwischen den Progressiven und den Reaktionären.

Vorbild "Rio Bravo"

"Meek's Cutoff" existiert nicht im luftleeren Raum, ist hingegen ein höchst referenzielles Werk; eines auch, das sich abreibt an den Dutzenden Mythen, die den Wilden Westen nicht nur, aber dann doch besonders im Kino umwehen. Man denkt etwa an "Rio Bravo" von Howard Hawks; wie darin ein aufrechter Sheriff, sein versoffener Gehilfe, ein alter Irrer und ein junger Revolverheld, nicht zu vergessen eine gusseiserne Lady in einem kleinen Kaff gegen Gangster kämpfen. Das ist zu Recht ein klassischer Western, derjenige, an dem sich alle anderen messen lassen müssen.

"Rio Bravo" war auch eines der zentralen Seherlebnisse für den jungen John Carpenter. Howard Hawks' klassischer Western mit seinen archetypischen Figuren beeinflusst das Kino des Regisseurs wie kein anderer Film: In fast allen seinen Arbeiten wird Carpenter auf das Motiv einer in die Enge getriebenen Männergruppe zurückgreifen.

Ums Überleben kämpfen

Aber nicht alle tragen ihre Inspirationsquelle derart stolz vor sich her, wie sein zweiter Regiefilm "Assault – Anschlag bei Nacht". Das von Bandenkriegen und ethnischen Spannungen zerrüttete Los Angeles der Mittsiebziger dient Carpenter darin als valider Ersatz für Hawks' Westernstadt. Statt grimmigen Outlaws belagern multiethnische Warlords eine verlassene Polizeistation, statt John Wayne und Dean Martin kämpfen unbekannte Schauspieler um ihr Überleben. Aber immer noch geht es darum, sich zu solidarisieren, und den Gesetzlosen Paroli zu bieten. Der neue Western spielt in der urbanen Prärie, in Häuserschluchten, auf nassem Asphalt.

Auch John Schlesingers "Asphalt Cowboy" ist – unschwer zu erraten – vor allem in der Stadt unterwegs. Jon Voight spielt den urbanen Drifter in Fransenlederjacke und Cowboystiefeln mit so viel Unschuld und Begeisterung, dass man ihm überall hin folgt - sogar ins tabuisierte Reich der männlichen Gelegenheitsprostitution.

Es geht um neue Regeln, neue Outlaws und notwendige Grenzziehungen, es geht auch um die Koketterie mit der kitschigen Western-Symbolik, um die Instrumentalisierung und Sexualisierung des Cowboy-Bildes. In einer durch-kommerzialisierten Welt hat das seine ursprüngliche Bedeutung und Berechtigung verloren, jetzt kann man ein Stück amerikanische Geschichte anmieten und sich mit ihr vergnügen oder sich an ihr vergehen.

Sam Peckinpahs Moralethik

Im Besonderen in den 1960er und 70er Jahren wird das uramerikanische Genre des Western häufig revisionistisch umgepflügt. Denn gleich nach dem schrittweisen Zusammenbruch des Studiosystems und damit des klassischen Hollywoods Ende der 1950er Jahre beginnen Regisseure damit, den Wilden Westen anders zu erzählen.

Sam Peckinpah etwa gelingt mit "The Wild Bunch" und später auch mit "Pat Garrett jagt Billy the Kid" eine radikale Neubedeutung des Western, seine Protagonisten sind keine Helden mehr, sondern Menschen. Peckinpahs extrem stilisierte Western mit ihrer ambivalenten Moralethik waren und sind immer noch sehr einflussreich.

Inversion der Konventionen

2005 erzählt Rockmusiker Rob Zombie in "The Devil's Rejects" von einer Outlaw-Sippe, die von einem psychopathischen Polizisten in die Enge getrieben und dezimiert wird. Mit viel gegenkulturellem Drall ausgestattet, vollzieht der Regisseur die vollkommene Inversion der Westernkonventionen - und lässt den Zuschauer mit den Gaunern hoffen.

Ähnlich düster, brutal und anarchisch nimmt sich auch einer der schönsten Neowestern des letzten Jahrzehnts aus: der Australier Patrick Hughes zeigt 2010 mit seinem zu Unrecht übersehenen Regiedebüt "Red Hill", wie Provinzpolizisten gegen einen Aborigine-Psychopathen kämpfen, bis ein junger Stadtbulle dahinter kommt, dass die Gesetzeshüter des Ortes die eigentlichen Verbrecher sind.

Der Western ist - wie viele andere Genres auch - eine bloße Unterlage, ein Set aus archetypischen Figuren und Schauplätzen, aus denen Regisseure immer wieder neue Variationen zusammensetzen können - und damit über ihre jeweilige Zeit erzählen, über Bandenkriege und Massenmörder, über das Eigene und das Fremde und darüber ein ganz eigene Sicht auf die westliche Kulturgeschichte entwickeln.

Service

Meek's Cutoff
IMDb - Rio Bravo
IMDb - Assault
IMDb - Asphalt Cowboy
IMDb - The Wild Bunch
IMDb - Pat Garrett & Billy The Kid]
IMDb - The Devil's Rejects
Patrick Hughes - Red Hill