Roman von Roberto Bolano

Das Dritte Reich

Der Titel des Buches bezieht sich auf ein Brettspiel: "Rise and Decline of the Third Reich" heißt das 1974 erschienene Strategiespiel, bei dem die Spieler entweder den gesamten Zweiten Weltkrieg oder Teile davon nachspielen können.

"Third Reich" gilt als eines der komplexesten Strategiespiele - durch seine Erweiterungen und Modifikationen erlaubt es eine Änderung historischer Ereignisse bis hin zu einer Umkehrung der tatsächlichen Geschichte. Bolano war ein leidenschaftlicher Anhänger solcher Brettspiele und das merkt man diesem Text immer wieder an. Vor allem dann, wenn Bolano über Seiten hinweg Spielzüge beschreibt und Schlachtenverläufe analysiert.

Das Hobby zum Beruf machen

Der Protagonist des Romans heißt Udo Berger und viel besser könnte dessen Leben kaum sein. Es ist August und er hat sich mit seiner neuen, wunderschönen Freundin Ingeborg im Hotel Del Mar an der Costa Brava einquartiert. Dieses Hotel kennt Udo schon länger - als Kind hat er dort mit seinen Eltern viele Urlaube verbracht.

Udo ist nicht nur frisch verliebt, er ist auch dabei, sein altes Leben hinter sich zu lassen. Wenn er nach Hause nach Stuttgart zurückkehren wird, so der Plan, dann wird er seinen langweiligen Job kündigen und Journalist werden. Udo Berger, Deutscher Meister im Spielen sogenannter "War Games", wird sein Hobby zum Beruf machen und von nun an nur mehr über diese Spiele berichten. Aus diesem Grund beginnt er, ein Tagebuch zu schreiben; will er doch seinen Schreibstil verfeinern. Am 20. August lautet der erste Eintrag:

Wo ist Charly?

Nach und nach beginnt die Urlaubsidylle zu bröckeln. Da ist einmal Udo selbst. Anstatt am Strand zu liegen, und das Leben mit seiner Freundin zu genießen, verbringt er seine Zeit im Hotelzimmer und probiert immer neue Varianten des Spiels "Das Dritte Reich" aus. Währenddessen trifft Ingeborg ein anderes deutsches Pärchen, Hanna und Charly. Udo mag die beiden nicht besonders, vor allem Charly, der stets betrunken und laut ist, kann er nichts abgewinnen.

Bald darauf lernen die vier zwei Spanier kennen. El Lobo und El Cordero - den Wolf und das Lamm. Diese zeigen den Deutschen ein paar Lokale, in die sich keine Touristen verirren. In einer dieser Bars treffen sie auf El Quemado, den Verbrannten, der durch Brandnarben am ganzen Körper entstellt ist. Er wohnt am Strand - dort hat er sich aus den Tretbooten, die er vermietet, eine Baracke gebaut.

Eines Abends schnappt sich der betrunkene Charly sein Board und surft ins offene Meer. Er wird nicht mehr zurückkommen. Immer wieder gehen die drei Deutschen zu den offiziellen Stellen um nachzufragen, ob man Charly gefunden habe. Die Antwort lautet stets "nein". Der Urlaub neigt sich dem Ende zu und Ingeborg und Hanna fahren zurück nach Deutschland. Nur Udo bleibt in Spanien. Offiziell, weil er mit den Behörden in Kontakt steht und warten will, ob Charly doch noch auftauchen wird. Im Grunde aber will er die Zeit nutzen, um sich intensiv seinem Spiel zu widmen.

Anfänger schlägt Profi

Die Tage vergehen, die Saison neigt sich langsam dem Ende zu, das Hotel leert sich. Udos Tage bestehen darin, lange zu schlafen und dann gegen Mitternacht seinen neuen Freund auf seinem Zimmer zu empfangen: den Verbrannten. Jeden Abend kommt er zu ihm, und er verlässt Udo erst bei Sonnenaufgang. Im Hotel wird getuschelt, was die beiden Männer denn anstellen - dass sie sich dem Strategiespiel widmen, will keiner so recht glauben.

Udo, der im Spiel die Deutsche Wehrmacht bewegt, ging davon aus, dass der Verbrannte, der über keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet verfügt, gegen ihn keine Chance haben wird. Aber El Quemado lernt schnell und nach und nach gelingt es seinen alliierten Truppen, den deutschen Vormarsch zu stoppen.

Udo entfernt sich immer weiter von der Realität. Die einzige, die ihn außer dem Spiel noch interessiert, ist die Besitzerin des Hotels Frau Else. Für sie schwärmt Udo, seit er als Kind in dem Hotel war - und nun gelingt es ihm sogar, die Frau zu küssen. Am 9. September schreibt er in sein Tagebuch.

Unspektakulär, aber hervorragend

Bolano gelingt es in diesem Buch hervorragend, eine Atmosphäre nicht fassbarer Bedrohung zu entwickeln. Alles mutet fremd an, das Lamm, der Wolf, der Verbrannte. Was wollen sie eigentlich? Was will Frau Else? Was will der Ich-Erzähler? Realität und Alptraum liegen nahe bei einander.

Der Roman endet unspektakulär - manche sagen "banal". Aber banal ist dieser Text ganz und gar nicht. Dass eben am Schluss nichts Großes passiert, dass das Leben des Helden eben nicht in tausend Stücke zersplittert, sondern es nur zu Verschiebungen auf der Mikro-Realität kommt, das zeichnet dieses Buch aus.

Warum dieser Text, der 1989 bereits als fertiges Manuskript vorlag und der um nichts schlechter ist, als die späteren, gefeierten Werke Bolanos, nicht zu Lebzeiten des Autors veröffentlicht wurde, bleibt ein Rätsel. So wie die ganze posthume Veröffentlichungspolitik in Bezug auf Roberto Bolano um nichts weniger rätselhaft erscheint als dessen Texte.

Service

Roberto Bolano, "Das Dritte Reich", aus dem Spanischen übersetzt von Christian Hansen, Carl Hanser Verlag

Hanser Verlag - Das Dritte Reich