Befragungstechniken für Studierende

Performance "Psychiatrie!"

Derzeit wird im Wiener Palais Kabelwerk die Theater-Performance "Psychiatrie!" aufgeführt. Die Produktion des Schauspielers Hagnot Elischka geht auf ein mittlerweile 15 Jahre dauerndes Projekt auf der Psychiatrie des Wiener AKH zurück.

Dabei wurden drei Schauspieler zu Doppelgängern von Menschen mit psychischen Erkrankungen aufgebaut, damit Medizinstudierenden Befragungstechniken lernen können. Bis zu diesem Zeitpunkt setzten sich "echte" Patienten diesen Fragen aus und wurden oft Opfer ungeschickter, weil noch unausgebildeter Studierender. Elischka stellt in seiner Performance "Psychiatrie!", die für den Nestroy-Spezialpreis 2011 nominiert war, dieses Projekt der "simulierten Patienten" vor.

Kulturjournal, 09.01.2012

Bei Herrn W. wurde eine schizo-affektive Störung mit religiösem Erlösungswahn diagnostiziert und Hagnot Elischka vertritt ihn als simulierten Patienten beim Explorations-Praktikum der Medizinstudierenden. Bei dieser Lehrveranstaltung üben sie, eine erste Diagnose zu stellen, wenn ein Mensch zum ersten Mal in die psychiatrische Abteilung kommt.

Ein Dreivierteljahr beschäftigte sich der Schauspieler Elischka mit der Lebens- und Krankengeschichte von Herrn W., war bei dessen Befragungen dabei, hörte sich immer wieder Tonbänder an, schaute sich Videos an, um den Studierenden nicht nur ein standardisiertes Krankheitsbild zu vermitteln, sondern um einen ganzen Menschen darzustellen, der bei jeder Befragung, je nach Situation, anders reagiert. Sätze und Abläufe auswendig zu lernen, ist dabei fehl am Platz, verwendet werden nur "typische Sätze und Wendungen", wie Elischka sagt.

Außer Elischka ließen sich noch Eva Linder und Gabriela Hütter zu Doppelgängerinnen ausbilden. Alle drei haben sich mit mehreren psychisch kranken Menschen beschäftigt und deren individuelles Verhalten verinnerlicht. Elischka beispielsweise lernte noch Herrn A. und dessen Alkoholkrankheit kennen. Linder simuliert Frau A., die unter Angst- und Panik-Attacken leidet, und Hütter setzte sich mit Frau S. und ihren Depressionen auseinander.

Patienten von der Stigmatisierung befreien

Initiiert wurde das Projekt vom Psychiater, Psychotherapeuten und Universitätsprofessor Gerhard Lenz vor 15 Jahren am Wiener AKH. Es ging ihm darum, Menschen, die tatsächlich unter psychischen Krankheiten leiden, nicht den unbedarften Fragen der Studierenden auszusetzen, die aber wiederum diese Befragungen in der Praxis trainieren müssen. Der Vorteil der simulierten Befragung sei, dass die Studierenden nicht befürchten müssen, Patienten zu belasten, und dass das Gespräch jederzeit unterbrochen werden könne, so Lenz.

Die simulierten Patienten reflektieren nach den Fragen, ob sie sich im Sinne ihrer Vorbilder wohl oder bedroht gefühlt haben oder ob zu laut und zu ungeduldig gesprochen wurde.

Aus all diesen Erfahrungen und Lernprozessen entstand die Theater-Performance "Psychiatrie!". Hintergrund dieser Öffentlichmachung ist der Wunsch, die Psychiatrie und Menschen mit psychischen Krankheiten von der gesellschaftlichen Stigmatisierung zu befreien. Im Diskurs um die Stigmatisierung psychisch kranker Menschen fließt auch die grundsätzliche Diskussion um die Grenze zwischen dem Gesunden und dem Kranken ein.

Entmündigung des Bürgers

Lenz definiert Gesundheit, die seiner Ansicht nach kein Mensch vollständig haben kann, folgendermaßen: "Einerseits Leistungsfähigkeit, also Arbeitsfähigkeit, andererseits Beziehungsfähigkeit, Liebesfähigkeit und körperliche Funktionsfähigkeit."

Die Frage, die sich hier aufwirft lautet: Wie trägt eine leistungsorientierte Gesellschaft an Zusammenbrüchen und Krankheiten ihrer Mitglieder Schuld und wie sehr ist sie bereit diese Abweichungen von der Norm dann zu akzeptieren? Viele dieser Dinge hätten immer mehr mit unserer Arbeitsmarktsituation zu tun und "Entmündigung des Bürgers, was auch immer mehr passiert". Da die Aufklärung der Menschen immer weiter gehe, werde das immer quälender.

Die Performance "Psychiatrie!" ist am 9. Und 10. Jänner 2012 im Wiener Kabelwerk zu sehen. Ende Jänner wird ebenfalls im Kabelwerk und ebenfalls unter der Leitung von Hagnot Elischka die Theater-Performance "Trauma" aufgeführt, die sich mit Bewältigungsmechanismen traumatisierter Menschen auseinandersetzt.

Textfassung: Ruth Halle