Mechanismen und Mythen der Macht
Alexander Sokurows "Faust"
Er war der große Gewinner der Filmfestspiele von Venedig 2011. Alexander Sokurows radikale Neuinterpretation des "Faust", ausgezeichnet mit dem goldenen Löwen. Einstimmig das Urteil der Jury für den Film des russischen Starregisseurs, einhellig auch die Meinung der Kritiker: Sokurows "Faust" sei ein Meisterwerk.
8. April 2017, 21:58
Gedreht in deutscher Sprache, ist in der Hauptrolle des Faust der österreichische Schauspieler Johannes Zeiler zu sehen, und auch dessen Schüler Wagner wird gespielt von einem Österreicher: Georg Friedrich. "Faust" war hierzulande bereits im Rahmen der letztjährigen Viennale zu sehen, nun kommt Alexander Sokurows Film regulär in die Kinos.
Kultur aktuell, 10.01.2012
Die Kamera gleitet über eine Modelllandschaft aus Bergen und Meer. Eine Stadt, dann der Schnitt hin zur Großaufnahme einer Leiche. Faust und dessen Schüler Wagner beim Sezieren - auf der Suche nach der Seele. Dialoge werden geschichtet. Sprache und Musik verdichtend übereinandergelegt. Zitate aus dem Originaltext nur bruchstückhaft eingeworfen.
Alexander Sokurow eignet sich Goethes "Faust" spielerisch an. Den Text wie die Figuren. Mephisto ist hier kein edler Verführer sondern wird zur kreatürlichen Gestalt. Ein Wucherer. Faust selbst zutiefst menschlich, ein Getriebener auf der Suche nach Liebe und Gefühl. Eigenschaften, die für Regisseur Alexander Sokurow von Anfang an essenziell waren:
"Was für mich immer wichtig gewesen ist, ist die Tatsache, dass Faust eine lebendige Figur ist, eine menschliche. Deren Schicksal alles enthält, was einem Menschen widerfahren kann. Für mich war er nie eine mythische Figur, sondern eine lebendige, reale Person."
Fast wie ein Hörspiel
Angesiedelt im frühen 19. Jahrhundert, wirkt der gesamte Film dabei wie eine große stilistische Einheit. Schon die eigens nachsynchronisierte Tonebene ist dabei so durchkomponiert, dass sie phasenweise wohl auch als Hörspiel funktionieren würde. Pausen im Text werden mit angehobener Geräuschkulisse oder mit Musik gefüllt, die sich wie ein Umhang über den gesamten Film legt.
Dazu verdichtende Bilder: wie Gemälde einer historischen Kulisse. Ausgewaschene Farben, mal mit leichtem Grün oder Gelbstich, als läge ein permanenter Schleier über der Szenerie. Die Kamera bleibt dabei ständig in Bewegung mit oft wechselnden Linsen, die mal verdichten, verzerren, dann wieder auseinanderdividieren. Der Pakt mit dem Teufel wird in diesem Sog aus Unruhe und Verlangen zum fast nebensächlichen Akt, in dem sich Faust selbst weniger auf den Inhalt, als die formalen Fehler im Vertrag konzentriert.
Vorbild Literatur
Mit dem Film "Faust" beschließt Alexander Sokurow seine Kinotetralogie über Mechanismen und Mythen der Macht, in der er sich nach den historischen Figuren Hitler, Lenin und dem japanischen Kaiser Hirohito mit Faust nun einer literarischen Figur angenommen hat. Sie alle hätten gemeinsam, dass sie alles auf eine Karte gesetzt und dabei alles verloren hätten, so Sokurow, der seine Tetralogie dabei weniger als das Werk eines Filmemachers, als jenes eines Schriftstellers sieht:
"Ich bin ein Verehrer der Literatur, ich habe schon öfter gesagt, dass ich das Kino eigentlich nicht so sehr liebe. Die Literatur ist mein eigentlicher Lehrer, mein Vorbild. Literatur beeinflusst bei mir alles. Und so eine programmatisches Werk wie diese Tetralogie, das ist für mich weniger die Erfahrung eines Filmemachers, als die Erfahrung eines Schriftstellers."
Das sagt ein Mann, der in seiner Karriere über 40 Spiel- und Dokumentarfilme realisiert hat. Wie die meisten seiner Werke ist dabei auch "Faust" mit seiner Flut an Bildideen fordernd, denn Alexander Sokurows Filme sind alles andere als massentaugliche Unterhaltung, und wohl auch deshalb selten im regulären Kinobetrieb zu sehen. Nun hat man die rare Gelegenheit dazu.