Die "Café Sonntag"-Glosse von Armin Thurnher

Musik und Wirkung

Ich mache es kurz und schränke das Thema ein: Wie wirkt Musik auf mich?

Armin Thurnher

"Der Schönste an Musik ist, dass sie nichts bewirkt. Und jeder hat verstanden, was es war."

Das Pochen aus schlecht abgeschirmten Kopfhörern in öffentlichen Verkehrsmitteln wäre zuerst zu erwähnen, jenes feine Herumzilken auf meinen Nerven. Nicht einmal von weitem und auch nicht in halb gedämpfter, halb verstümmelter Form möchte ich mit Technoklängen gefoltert werden. Dazu der Anblick Kapuzen tragender, jeder Beschwerde gegenüber verständnisloser, neben sich versunkener Bleichgesichter.

Von ihnen ist es nur ein halber Schritt zu jenen Kühen, denen beim Anhören des Andante aus Mozarts Klavierkonzert KV 476 die Euter schneller schwellen, und zu jenen Konsumenten, die unter dem Einfluss kaum wahrgenommener musicim Kaufhaus glasäugig und besinnungslos zugreifen.

Ja, das Nebenbei von Musik enthält ihre schrecklichste Wirkung, den unterschwelligen Stimulus, die Ablenkung von allem, was sie ist und sein kann.

Was kann sie sein? Konzentrierte, pure Zeit. Also eine Zeit, in der nichts geschieht als sie. Der konzentrierte, erfüllte Augenblick: das wäre eine Definition von Glück.
Gleich hustet der Nebenmann aus vollem Hals, der Pianist vergreift sich, der Klarinettist kiekst, die Sängerin krächzt.

Macht nichts. Bis auf den hustenden Nebenmann trägt alles nur dazu bei, einem die Menschlichkeit aller Schönheit zu Bewusstsein zu bringen. Die gottferne Frömmigkeit einer Fuge. Die befreiende Energie, wenn in einem vollen, aber stillen Stadion der erste Akkord einer Fender Stratocaster aus den Lautsprechern fährt. Musik kann aber nicht nur befreien, sie kann auch zwingen: in Marsch- und Tanzrhythmen. Sie kann totalitär wirken, mit ekelhaften Zeigefingern zeigen, Lustigkeit heucheln und mit Klischees nerven, etwa mit dem Bolero zum Geschlechtsverkehr. Sie kann durch und durch verlogen sein wie Stadelmusik und uns mit einfachsten Mitteln rühren wie jedes Volkslied.

Musik kann enttäuschen, wenn routinierte Interpreten im goldenen Klassiksaal vor einem Silbersee scharrender Hörer klingende Routine ausbreiten. Sie kann umschlagen wie das Wetter, wenn das Spiel der Routiniers dem Silbersee das Husten austreibt, indem es ihn mit einer starken Emotion aufwühlt, mit einem glücklich ausgeführten Gedanken überfällt, mit einer gelungenen Interpretation begeistert.

Wenn sie missglückt, ist Musik nicht mehr als ein Haufen schwarzer Noten einer Partitur, die in den Händeln eines mitlesenden Besserwissers beim Umblättern trocken raschelt.
Wenn sie glückt, sagt sie das Tiefste, das Unsagbare, etwas, das einen beim Hören von Beethovens Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit anrührt oder bei einem Lachspalt in einer Haydn-Klaviersonate, den Alfred Brendel für uns öffnet. Oder beim Echo in Bachs Französischer Ouvertüre, das Grigory Sokolov scheinbar aus dem Raum nebenan kommen lässt, wo aber niemand sitzt und spielt.

Der Schönste an Musik ist, dass sie nichts bewirkt. Und jeder hat verstanden, was es war.

Text: Armin Thurnher

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Falter - Armin Thurnher