Paddy Considines Langfilmdebüt
Tyrannosaur - eine Liebesgeschichte
In seinem Kurzfilm "Dog altogether" aus dem Jahr 2007 erzählt der britische Schauspieler Paddy Considine die Geschichte von Joseph, einem Mann Anfang 50 aus der britischen Arbeiterklasse. Nun kommt Considines erster Langspielfilm in die Kinos: "Tyrannosaur - eine Liebesgeschichte". Considine greift darin Handlung und Figuren aus seinem Kurzfilm auf und erzählt deren Geschichte weiter.
8. April 2017, 21:58
Schon für "Dog Altogether" wurde Considine bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem silbernen Löwen für den besten Kurzfilm ausgezeichnet. Für "Tyrannosaur" erhielt der britische Regie-Debütant neben zahlreichen anderen Auszeichnungen beim letztjährigen Sundance Filmfestival den Preis für die beste Regie, und die beiden Hauptdarsteller Peter Mullan und Olivia Colman - jeweils auch schon im Kurzfilm in den Hauptrollen zu sehen - wurden als beste Hauptdarstellerin und bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Ab Freitag, 20. Jänner 2012, ist "Tyrannosaur" in den heimischen Kinos zu sehen.
Kulturjournal, 19.01.2012
Ein Mann fluchend auf der Straße, sein Hund bellt. Er tritt ihn tot. Wenig später zertrümmert derselbe Mann eine Fensterscheibe, bevor er sich im Pub mit ein paar Jugendlichen anlegt. Noch weiß man recht wenig über diesen Zyniker, der da im Arbeiterviertel von Leeds seinem Ärger und seinen Frustrationen freien Lauf lässt. Nahtlos reihen sich Szenen der Gewalt aneinander. Dann betritt er einen Charity Shop. Man ahnt Böses, doch alles kommt anders.
Hier trifft Joseph die tiefgläubige Hannah: aus einem bürgerlichen Viertel stammend, Haus mit Garten, kleine heile Welt und der Glaube an das Gute im Menschen. In den ersten Minuten von "Tyrannosaur" werden Erwartungen aufgebaut, Erwartungen an Figuren. Schnell scheint man ein Bild von den Menschen und ihren Geschichten zu haben, lässt sich von Klischees und damit verbundenen Vorurteilen in die Irre führen.
Abgründe hinter verschlossenen Türen
Wie der weiße Gartenzaun zu Beginn von David Lynchs "Blue Velvet" nur trügerische Fassade für die menschlichen Abgründe ist, in die der Film später blickt, so ist auch Hannahs Welt in "Tyrannosaur" nur scheinbar in Ordnung. Hinter verschlossenen Türen wird sie von ihrem Mann missbraucht.
Und Joseph, der mürrische Trinker, erinnert irgendwie an den störrischen Alten aus Clint Eastwoods "Gran Torino", der spuckt und flucht, sich schließlich aber zum sympathischen Nörgler, ja Helden wandelt. Nur ist Joseph schweigsamer, rauer, noch kaputter als Eastwoods Kriegsveteran.
Für Drehbuchautor und Regisseur Paddy Considine war Joseph dabei die zentrale Figur in der Weiterentwicklung des Drehbuchs vom Kurz- zum Langfilm: "Die Figur im Film, zu der ich die engste Beziehung habe, ist Joseph, der zwar seinen Zorn frei artikuliert, der sich aber, nachdem er zu Beginn seinen Hund getötet hat, immer mehr in Frage stellt und auch an sich zweifelt. Tief innerlich ist er ja kein schlechter Mensch! Dank Hannah gibt er sich selbst auch noch einmal eine Chance. Und Joseph ist dann auch das genaue Gegenteil zu Hannahs Mann, der seinen Zorn in sich hinein frisst, und ihn dann hinter verschlossenen Türen an seiner Frau auslässt. Dieses langsame Manipulieren und Erniedrigen, das so zerstörerisch ist."
Nachdem er sie blutig geschlagen und missbraucht hat, weint er sich in ihrem Schoß aus - Szenen die fast noch erniedrigender wirken, wie der Missbrauch selbst. Schließlich verlässt sie ihn.
Trotz Liebesgeschichte kein Tränendrüsenkino
Langsam beginnt die Liebesgeschichte, die der Untertitel des Films verspricht. Man erfährt von Josephs an Diabetes verstorbener Frau, dass "Tyrannosaur" ihr Spitzname war, weil sie mit ihrem Gewicht beim Gehen das Wasserglas auf dem Tisch zum Wackeln brachte. Er habe das lustig gefunden. Er sei ein Arschloch gewesen, so Joseph. Zum Tränendrüsenkino wird "Tyrannosaur" freilich auch mit der Liebesgeschichte nicht. Considine bleibt in seiner Erzählweise nüchtern, konzentriert sich auf die präzise gezeichneten Figuren.
"Alles was ich wollte, war eine Liebesgeschichte über diese zwei gebrochenen Menschen zu erzählen und wie sie sich dadurch langsam auch verändern", so Considine. "Zwei Menschen mit unterschiedlichen Geschichten, unterschiedlichem sozialem Hintergrund, die am Ende des Films ihre persönlichen Kriege ausgefochten haben, aber zugleich auch eine geteilte Erfahrung haben."
Weite Einstellungen, langsamer Schnittrhythmus, gelegentliche Close-Ups. Fast in Westernmanier fängt Considine die triste Vorstadtwelt ein, überlässt vieles dem schauspielerischen Kraftakt von Olivia Colman und Peter Mullan. Am Ende ist von den Eindrücken, die die Figuren zu Beginn des Films hinterlassen haben, nicht mehr viel übrig. Und auch die Stimmung ist eine andere: Zwei Szenen reichen Considine nämlich aus, um dem Film doch noch eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen. Einer der besten britischen Filme des Jahres, so die einstimmige Kritik. Oder wie der "Spiegel" schreibt: Kino das weh tut, aber glücklich macht.