Gesundheitsökonom warnt
"Zuerst reformieren, dann sparen"
Nach Ansicht des Gesundheitsökonomen Ernest Pichlbauer müsste die Politik nicht auf ein neues Abkommen mit den Bundesländern warten, sondern könnte sofort mit Reformen des Gesundheitssystems beginnen. Pichlbauer warnt aber vor Ausgabenkürzungen ohne Reformen: Das würde die Qualität "gefährlich" verschlechtern.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 27.1.2012
Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer im Gespräch mit Andrea Maiwald
Ineffizienzen heben
Man könnte heute schon beginnen, Reformen einzuleiten, so Pichlbauer im Ö1 Morgenjournal: "Da ginge Vieles, Abstimmungsgespräche zwischen den Kassen und den Kammern, die Einführung von Prävention. Es ginge enorm viel, wenn man sich nicht fürchtet vor den Ländern." Das Sparpotenzial beschreibt Pichlbauer "vorsichtig": Das Sparen sei durch die "Kostentreiber" begrenzt, nämlich die Demografie und der medizinische Fortschritt. Es sei aber "klar", dass das System zehn bis 20 Prozent Ineffizienzen enthalte, und die müsse man "heben".
"Gefährliche" Ansagen
Nicht realistisch ist für Pichlbauer das Ziel, dass die Gesundheitsausgaben nicht stärker wachsen dürfen als die jährliche Wirtschaftsleistung - heuer wäre das nach den optimistischsten Schätzungen nicht mehr als ein Prozent. Für den Experten wäre das im aktuellen System nur durch eine "Rationierung bei der Leistung" zu erreichen. Solche Ansagen seien "gefährlich, wenn nicht vorher ordentliche Reformen kommen".
Aufwertung der Hausärzte
Damit ab 2014 tatsächlich wie geplant 1,8 Milliarden Euro hereinkommen, müsse alles aufeinander abgestimmt werden, fordert der Gesundheitsökonom. Zwischen Prävention und Palliativmedizin dürften die Entscheidungsstrukturen nicht derart hochgradig fragmentiert sein - in Bundesländer, Krankenkassen und Ärztekammern. Finanzierung aus einem Topf wäre das "Schönste und Beste", zumindest aber sollte die Planung in einer Hand liegen. Konkret würde das für den Patienten bedeuten, dass er öfter zuhause durch seinen Hausarzt behandelt wird und nicht in einem weiter entfernten Spital. "Das würde nicht nur billiger kommen, sondern auch unglaubliche Qualität für den Patienten bringen."
Das Sparpotenzial derartiger Hausarzt-Modelle beziffert Pichlbauer mit zehn bis 15 Prozent, "weil Hausärzte die effizientesten Gesundheitsmanager sind." Der Grund, dass es das in Österreich so nicht gibt: "Weil Land und Krankenkassen nicht miteinander reden wollen, keine effiziente Hausärzteversorgung wollen und deshalb hungern sie die Hausärzte seit Jahrzehnten aus. Und deshalb steht die Aufwertung der Hausärzte seit Jahrzehnten in Programmen, aber es tut halt keiner."
Zuerst reformieren, dann sparen
Dass das jahrelange Verschleppen der Spitalsreform die Qualität der medizinischen Versorgung schon verschlechtert hat, ist für Pichlbauer offensichtlich, auch wenn die Qualität nicht gemessen werde. Was die Reform für den Patienten bringen kann, das kommt für Pichlbauer darauf an: "Wenn es eine ordentliche Reform ist, wird es für die Patienten besser, wenn es eine typisch österreichische Reform ist, wird es für die Patienten schlechter." Dennoch ist der Ökonom dagegen, noch mehr Geld in das System zu stecken: "Ich bin dagegen, dass mehr bezahlt wird. Ich bin dafür, dass zuerst reformiert wird."
Berater und Publizist
Dr. Ernest G. Pichlbauer, geb. 1969, ist unabhängiger Systemkritiker, Berater und Publizist. Davor war er in öffentlichen Institutionen mit Planungsaufgaben betraut. Während seiner Zeit am Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) war er unter anderem an den Arbeiten zum Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) beteiligt und verfasste für die deutsche Bundesregierung mehrere HTA-Berichte.
Buchtipp
Ernest G.Pichlbauer, Ingrid Korosec, "Gesunde Zukunft – Österreichs Gesundheitsversorgung NEU", Verlag Edition Steinbauer, Erste Auflage 2007, ISBN-10: 3902494271, ISBN-13: 978-3902494276