Die Sogwirkung der Wörter

Markus Köhle über Poesie

"Es hat lange gedauert, bis es soweit war, und es war auch ein langer Prozess, jetzt ist Kunst für mich das Leben." Kunst als eine Form des Daseins zu verwirklichen, das ist für den Autor Markus Köhle eine gelungene Art zu leben.

1975 in Nordtirol geboren, arbeitet und lebt Köhle seit einiger Zeit als - wie er es nennt - "Wortschichtarbeiter" in Wien. Er ist zum einen Pionier der heimischen Poetry-Slam-Szene, die dem Publikum Poesie in Performance-Auftritten näherbringt. Zum andern ist Markus Köhle Redakteur der Literaturzeitschrift "DUM", die seit mittlerweile 20 Jahren jungen, noch unbekannten Talenten eine Plattform bietet. Im Rahmen dieser Tätigkeit liest Köhle monatlich an die hundert Einsendungen von ambitionierten Nachwuchsdichtern - und jedes Mal hofft er dabei, einen raren Wort-Schatz heben zu können.

"Ich lass mich gerne überraschen und lese nach wie vor alles bis zur letzten Zeile", sagt Köhle. Er freut sich vor allem, "wenn jemand eine Sprache sucht, die anders ist als das, was man kennt".

Themen, die unter den Nägeln brennen

Nicht zuletzt hat Markus Köhle soeben selbst einen Roman vorgelegt: "Hanno brennt" heißt das bei Milena verlegte Werk, in dem es um Themen geht, die derzeit nicht nur ihm unter den Nägeln brennen: etwa Jugend ohne Arbeit oder Staatshaushalte ohne Geld. "Aktuell brennen grad Häuser in der Athener Altstadt, das ist etwas, das unter die Haut geht und auch Thema sein muss", meint er. Und auch das Prekariat ist Thema in "Hanno brennt" - "man hat studiert, hat aber keinen Job".

Ein mittelloser junger Mann verdingt sich - Not macht erfinderisch! - als Haustiergeschichtenschreiber. Seine Kundschaft, die idyllische Erzählungen über Hund und Katz bei ihm bestellt, findet der einfühlsame Schreiber in Wiener Aida-Konditoreien. So harmlos beginnt der Roman "Hanno brennt". Doch was zunächst fern jeglicher Gefahr scheint, wächst sich zu einer brutalen Verfolgungsjagd durch die Staatsmacht aus.

Hanno, der noch andere mittellose junge Leute kennenlernt, die ihren Lebensunterhalt ebenfalls höchst innovativ bestreiten, beginnt sich mit seinen neuen Freunden zu vernetzen, heckt immer kreativere Unternehmensstrategien aus - und wird aufgrund dessen bald staatsfeindlicher Umtriebe verdächtigt. Ein Szenario, das nicht der Fantasie, sondern der Realität geschuldet ist, betont Autor Markus Köhle und erinnert an den aufsehenerregenden Tierschützer-Prozess in Österreich. Eine junge engagierte Gruppe, die gegen Tierquälerei etwa in Massenzuchtbetrieben protestierte, war vor nicht allzu langer Zeit unter Terrorverdacht geraten.

Rauschzustand durch Wörter

Markus Köhle verpackt die Wirklichkeit in eine künstlerische Form, dazu gehören bei ihm auch ganz banale Alltagsrituale: Für die Beschreibung der ersten Minuten eines Morgens etwa, die Tag für Tag zelebriert werden, hat Köhle eine "poetologische Lösung" gefunden: "Ich beschreibe gerne Alltägliches - sei es das Aufstehen und Kaffe-machen, wähle aber eine unübliche Form, ich sag's anders aber ich sag's."

Wörter, ob in Versform mitten in einem Roman oder bei einem Poetry Slam, können eine Sogwirkung entfalten. Die Erfahrung, dass man durch Worte in eine Art Rauschzustand versetzt werden kann, hat Markus Köhle erstmals bei der Lektüre des Buches "Rom, Blicke" des deutschen Dichters Rolf Dieter Brinckmann gemacht. Brinckmann, der als ein radikaler Erneuerer der Lyrik gilt, schrieb vor 40 Jahren während eines Romaufenthaltes seiner Frau nach Köln über seine Beobachtungen des Alltags in der fremden Stadt. Die Art, wie er das tat, erweckte in Markus Köhle den Wunsch, selbst Schriftsteller zu werden.

Markus Köhle las Brinckmans Rom-Buch, als er sich selbst gerade in einer fremden Stadt aufhielt: in Tunis, wo er an der Universität Deutsch unterrichtete. "Wenn man im Ausland ist, wird alles zum Ereignis", meint er.

20 Jahre DUM

Seit einiger Zeit kann Markus Köhle von den öffentlichen Auftritten, Lese-Veranstaltungen und Büchern seinen Lebensunterhalt bestreiten. Ein Leben als freier Schriftsteller bedeutet indes nicht automatisch auch Freiraum für die Kunst: "Ich lebe gern in Ottakring, aber in der Wohnung gibt es immer Geräusche, die mit einem selbst nichts zu tun haben", zum Beispiel die Waschmaschine.

Am 23. Februar 2012 feiert "Das Ultimative Magazin" DUM sein 20-jähriges Bestehen. Zum Fest ins Literaturhaus NÖ werden wohl viele junge Schriftsteller kommen, die unter anderem durch Markus Köhle eine Chance erhielten, erstmals öffentlich in Erscheinung zu treten. Für sie wie auch für Köhle gilt: ein Leben für die Kunst wird gewinnbringend sein, ob mit oder ohne finanzielle Erfolge.

"Dass man mit einer Literaturzeitschrift kein Geld verdient, muss hier nicht extra gesagt werden", so Köhle, "dass es Spaß macht, möchte ich an dieser Stelle unterstreichen."

Service

Markus Köhle, "Hanno brennt", Milena Verlag

Markus Köhle
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