Das Universum des Jason Reitman

Geeks haben's nicht leicht

"Streber", "Computerfreak" oder sogar "Stubengelehrter": So sollte man laut Wörterbuch das englisch Wort "Geek" ins Deutsche übersetzen. Kenner zeitgenössischer US-Komödie wissen allerdings, dass all diese Bezeichnungen zu kurz greifen. Mitverantwortlich dafür ist Regisseur Jason Reitman.

Seine Filme sind bevölkert von unwahrscheinlichen Heldinnen, von Menschen, denen das Leben übel mitgespielt hat. Statt Muskelkraft und Zynismus setzen sie der Welt Sprachwitz und Intelligenz entgegen - und gehen für gewöhnlich siegreich hervor. 2007 gelingt Reitman mit der Offbeat-Komödie "Juno" über die Schwangerschaft einer Jugendlichen der internationale Durchbruch.

Auch in seiner neuen Arbeit, die jetzt in den österreichischen Kinos anläuft, steht eine weibliche Figur im Zentrum: Charlize Theron spielt in "Young Adult" eine Mittdreißigerin, die sich weigert, erwachsen zu werden.

Für immer jung

Verantwortung übernehmen für das eigene Leben. Karriere machen. Eine Zukunftsperspektive entwickeln. Vielleicht sogar eine Familie gründen. All die Dinge, die für gewöhnlich mit dem Erwachsensein verbunden werden, interessieren Mavis Gary nicht. Lieber verhält sich die 37-Jährige immer noch so als wären die 1980er Jahre nie zu Ende gegangen, als wäre sie immer noch der High-School-Bubentraum, auf dem sie ihre ganze Teenager-Identität aufgebaut hat. Und von der sie immer noch zehrt.

Mittlerweile arbeitet Mavis als Buchautorin: Sie schreibt Romane für junge Erwachsene, kramt dafür in ihrem eigenen Erfahrungsschatz. Sie lebt in ihrer eigenen Vergangenheit, einem hermetisch abgeriegelten Universum mit eindeutig definierten Grenzen, in dem nichts verrutschen kann, das einem keine Angst macht.

Als Mavis eines Tages erfährt, dass ihr Schulschwarm Vater geworden ist, setzt sie alles auf eine Karte und reist zurück in die Zukunft, zurück in die Kleinstadt, die sie hervorgebracht hat. Dort will sie ihren Dreamboy zurück erobern. Koste es, was es wolle.

Einer von denen, die man übersieht

Mavis ist keine Sympathiefigur. Jedenfalls nicht zu Beginn von "Young Adult". Sympathiefiguren interessieren Jason Reitman aber ohnehin nicht. In seinen Geschichten fokussiert er diejenigen, unter denen er früher gelitten hat, die Krankheiten des Systems, die Leistungsmenschen und Rücksichtslosen. Und er sucht ihr Gewissen, sucht ihr Herz. Immer wieder.

Mavis ist ein hartes Stück Arbeit. Nicht umsonst nennen sie ihre ehemaligen Klassenkameraden immer noch "psychotic prom queen bitch". Sie war diejenige, die über Leichen gegangen ist. Eine groß gewachsene, schlanke, blonde Schönheit. Reitman lässt sie in einer Bar auf einen treffen, den sie früher immer übersehen hat: Matt war und ist der prototypische Verlierer, derjenige, der immer am Boden liegt, der immer noch eine reingedrückt bekommt. Mittlerweile ist er körperlich behindert, da ihn einige Jungs aufgrund seiner vermuteten Homosexualität krankenhausreif geprügelt haben. Kein Wunder also, dass Mavis sich nicht mehr an ihn erinnert.

Ein scheuer Geek

Jason Reitman fühlt sich selbst als der Junge, der immer übersehen wurde. Diesen Figuren widmet er seine Filme. Weil er, wie er in Interviews betont, ein einsamer, zurückgezogener, scheuer Geek war. Und das obwohl Jason Reitman als Sohn eines Hollywood-Regisseurs aufgewachsen ist. Sein Vater Ivan hat in den 1980er Jahren Kassenschlager wie "Ghostbusters" inszeniert. Mittlerweile greift er seinem Sprössling unter die Arme, wenn es um dessen eigene Filme geht.

An der Buchvorlage zu "Up In The Air" erwirbt Ivan Reitman die Rechte, da sich Sohn Jason von dem Stoff begeistert zeigt. 2009 läuft seine Adaption weltweit in den Kinos an: George Clooney spielt darin einen Mann, der um die Welt fliegt, um Mitarbeitern anderer Unternehmen zu sagen, dass sie entlassen worden sind. Ein Produkt des Hyperkapitalismus, für das man schwerlich Sympathie empfinden kann. Ein rücksichtsloser Mensch, wie Mavis aus "Young Adult".

Schon Reitmans erster Regiefilm setzt so eine Figur ins Zentrum: in "Thank You For Smoking" porträtiert er einen dynamischen Lobbyisten der US-Tabakindustrie. Einen Mann, der für eine Sache kämpft, obwohl er weiß, dass sie jährlich Millionen von Menschen das Leben kostet.

Schülerschwangerschaft in "Juno"

Reitmans Filme entspringen der Sensiblität eines Geeks. Er versucht diejenigen zu verstehen, die ihn damals unterdrückt und übersehen haben, versucht, mögliche Karrierewege dieser Bullies nachzuzeichnen. Wenig überraschend sind sie vielleicht erfolgreich, jedenfalls aber todunglücklich mit dem, was sie tun, sind und darstellen.

Nur einer von Jason Reitmans Filmen erzählt eine Jugendgeschichte: 2007 zeigt "Juno" wie eine 16-jährige Schülerin mit ihrer ungewollten Schwangerschaft umgeht. An ihrer Seite verzweifelt der gleichaltrige Kindsvater an der Situation. Er ist ein Außenseiter, ein hagerer, introvertierter junger Mann, der sich mit dem Leben arrangieren muss. Geschrieben hat "Juno" die junge Autorin Diablo Cody, vieles darin basiert auf ihren eigenen Erinnerungen an die High School. In ihr findet Jason Reitman eine Gleichgesinnte.

Gesellschaftliche Hackordnung

Auch das Drehbuch zu "Young Adult" stammt von Diablo Cody. Erneut lebt der Stoff vom sanft untergriffigen, anarchischen Witz der Autorin. So sanft wie gnadenlos wird darin die gesellschaftliche Hackordnung ausgestellt, um letzten Endes bei einem Hoffnungsschimmer zu landen. Im Wissen, dass die Unterdrücker von gestern die Unglücklichen von morgen werden, in der sehr amerikanischen Utopie, dass das Gute im Menschen letztendlich mehr Lebensglück ermöglicht als Rücksichtslosigkeit, in diesen Überzeugungen liegt das Herz von Jason Reitmans Kino.

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