Beobachtungen zur Emanzipation

Wie Frau sein?

Ist Feminismus noch zeitgemäß? Der Begriff hat ein enormes Imageproblem. Zu Recht? Oder ist es endlich an der Zeit, ihn zu entstauben, zu entspannen und neu zu besetzen? Diesen Fragen geht Michèle Roten in ihrem neuen Buch nach.

"Jede Frau, die ich kenne, ist für die soziale und politische Gleichheit der Geschlechter, aber Feministin nennt sich keine Einzige von ihnen." Das macht Michèle Roten gleich zu Anfang ihres Buchs klar. Und fügt wenige Zeilen später hinzu:

Die Sache mit der Größe

Auch wenn man - oder frau - es nun erwarten könnte: Die restlichen 135 Seiten von Michèle Rotens Buch sind kein Traktat gegen den Feminismus. Eher das Gegenteil. Und die Autorin weiß genau, für wen sie sie geschrieben hat:

Michèle Roten - Journalistin, Ehefrau, Mutter und 32 Jahre alt - gehört ganz offenbar selbst zu dieser Zielgruppe. Als Kind spielte sie mit Lego wie mit Barbie-Puppen. Da sich ihr Traum, ein weiblicher Bruce Lee zu werden, nicht erfüllte, ließ sie sich zumindest tätowieren. Michèle Roten studierte Germanistik, Soziologie und Kriminalistik in Zürich und Berlin und wurde Redakteurin bei der Schweizer "Weltwoche". Mit dem Fortsetzungsroman "Eins bis Sechs" gab sie 2007 ihr schriftstellerisches Debüt. Das neue Buch ist eine Sammlung ihrer "Miss Universum"-Kolumnen, die sie für "Das Magazin" des "Zürcher Tages-Anzeigers" geschrieben hat. Bunt, bissig - und ohne jede Beißhemmung. Beliebtes Thema: Sex.

Alltagsszenen und Studien

Für das Buch hat Michèle Roten ihre Texte mit assoziativ eingestreuten Fakten und Gedanken angereichert. Mitunter wirft sie nur eine Frage auf. Damit liefert sie Denkstoff. Sie seziert Alltagsszenen, zitiert Studien und einschlägige Literatur und beleuchtet die gesellschaftlichen Fallstricke beider Geschlechter.

Vielleicht, meint Michèle Roten, hätten junge Frauen es heute schwerer, einen Feminismus zu rechtfertigen, weil Ihnen per Gesetz die gleichen Möglichkeiten offen stünden wie Männern. Diese vermeintliche Wahlfreiheit sei jedoch nur ein Kompromiss im Rahmen einer immer noch von männlichen Normen geprägten Gesellschaft. Viele ihrer Geschlechtsgenossinnen, kritisiert die Autorin, übernähmen diese Vorstellungen anstatt selbstständig zu denken.

Die Sprache ist männlich

Daran dürfte sich so schnell nichts ändern, solange auch in den Medien als ernstzunehmende Experten fast nur Männer zu Wort kommen, betont Michèle Roten. Als Berufsschreiberin stellt sie außerdem fest: Auch Sprache ist manngemacht. Beispiel: Frauen in traditionellen Männerberufen.

Michèle Rotens Buch ist ein literarischer Parcours zu Genderfragen von Lohnungleichheit bis hin zur Intim-Schönheits-Operation. Vergnüglich weist sie etwa darauf hin, dass der Satz "Wer hat ihren BH im Bad gelassen?" grammatikalisch falsch ist. Und es korrekt heißen müsste: "Wer hat seinen BH im Bad gelassen?" Am Ende des Buches dankt Michèle Roten dann aber doch "meiner Mutter, meinem Vater, meiner Schwester, meinem Mann und allen meinen Freunden" und lässt ihre Freundinnen außen vor.

Schade, dass Michèle Roten nicht mehr über ihre eigene Rolle reflektiert hat. Etwa darüber, inwieweit sie als Autorin männliche Sprache übernimmt. Und warum sie so viel über Sex schreibt. Ist das ein Akt der Emanzipation? Oder eine unbewusste Gefälligkeit an die Männer? Vielleicht wird Michèle Roten in zehn Jahren ein solches Buch schreiben. Bei ihrem Talent für Sprache und beobachtende Wahrnehmung wäre dies nur zu wünschen. Ihr Fazit im Buch ist jedenfalls vielversprechend:

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Michèle Roten, "Wie Frau sein?", Echtzeit Verlag

Echtzeit - Wie Frau sein?