Beobachtungen zur Emanzipation
Wie Frau sein?
Ist Feminismus noch zeitgemäß? Der Begriff hat ein enormes Imageproblem. Zu Recht? Oder ist es endlich an der Zeit, ihn zu entstauben, zu entspannen und neu zu besetzen? Diesen Fragen geht Michèle Roten in ihrem neuen Buch nach.
27. April 2017, 15:40
"Jede Frau, die ich kenne, ist für die soziale und politische Gleichheit der Geschlechter, aber Feministin nennt sich keine Einzige von ihnen." Das macht Michèle Roten gleich zu Anfang ihres Buchs klar. Und fügt wenige Zeilen später hinzu:
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Bestimmt haben die Feminismus-Gegner ihren Teil dazu beigetragen, den Begriff negativ zu besetzen, eine uralte und bewährte politische Methode. Bestimmt waren es auch die Feministinnen selber, denn zu viel Eifer, Speichel, Gefuchtel, das nervt irgendwann, egal von wem und aus welcher Motivation.
Die Sache mit der Größe
Auch wenn man - oder frau - es nun erwarten könnte: Die restlichen 135 Seiten von Michèle Rotens Buch sind kein Traktat gegen den Feminismus. Eher das Gegenteil. Und die Autorin weiß genau, für wen sie sie geschrieben hat:
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Dieses Buch ist für Frauen, die es selbstverständlich finden, dass Hausarbeit geteilt wird, dass Frauen auch promisk leben dürfen, dass sie Führungspositionen einnehmen, dass sich Mutterschaft verbinden lassen muss mit Arbeit, dass Heiraten nicht das höchste Ziel im Leben ist, dass die Frau auch mal den Mann einlädt im Restaurant - und die völlig baff sind, wenn sie merken, dass die Welt noch nicht soweit ist wie sie. Und es ist ein Buch für Männer, die Mann genug sind, sich mit dem Thema Gleichberechtigung auseinanderzusetzen. Und die außerdem total gescheit und cool sind. Und auch sehr gut aussehen.
Michèle Roten - Journalistin, Ehefrau, Mutter und 32 Jahre alt - gehört ganz offenbar selbst zu dieser Zielgruppe. Als Kind spielte sie mit Lego wie mit Barbie-Puppen. Da sich ihr Traum, ein weiblicher Bruce Lee zu werden, nicht erfüllte, ließ sie sich zumindest tätowieren. Michèle Roten studierte Germanistik, Soziologie und Kriminalistik in Zürich und Berlin und wurde Redakteurin bei der Schweizer "Weltwoche". Mit dem Fortsetzungsroman "Eins bis Sechs" gab sie 2007 ihr schriftstellerisches Debüt. Das neue Buch ist eine Sammlung ihrer "Miss Universum"-Kolumnen, die sie für "Das Magazin" des "Zürcher Tages-Anzeigers" geschrieben hat. Bunt, bissig - und ohne jede Beißhemmung. Beliebtes Thema: Sex.
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Warum fühlen sich Frauen eigentlich verpflichtet, zu sagen, es komme nicht auf die Größe an, sondern auf die Technik? Es ist eine dicke, nette Lüge. Sind Männer auch so nett, wenn es unsere Unsicherheiten angeht?
Alltagsszenen und Studien
Für das Buch hat Michèle Roten ihre Texte mit assoziativ eingestreuten Fakten und Gedanken angereichert. Mitunter wirft sie nur eine Frage auf. Damit liefert sie Denkstoff. Sie seziert Alltagsszenen, zitiert Studien und einschlägige Literatur und beleuchtet die gesellschaftlichen Fallstricke beider Geschlechter.
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Gehen wir also mal davon aus, dass Männer ihr Bild von Sex und Frauen beim Sexmachen aus Pornos beziehen, dann ist das durchaus ein bisschen unangenehm. Aber die Vorstellung, dass Frauen ihr Bild von Beziehungen und Männern beim Beziehung-machen aus Filmen haben, das finde ich, ehrlich gesagt, ähnlich gruselig.
Vielleicht, meint Michèle Roten, hätten junge Frauen es heute schwerer, einen Feminismus zu rechtfertigen, weil Ihnen per Gesetz die gleichen Möglichkeiten offen stünden wie Männern. Diese vermeintliche Wahlfreiheit sei jedoch nur ein Kompromiss im Rahmen einer immer noch von männlichen Normen geprägten Gesellschaft. Viele ihrer Geschlechtsgenossinnen, kritisiert die Autorin, übernähmen diese Vorstellungen anstatt selbstständig zu denken.
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Junge Mädchen sagten mir schon ganz explizit, sie würden im Ausgang mit Freundinnen knutschen, weil die Jungen darauf stehen. Kurz: Man darf davon ausgehen, dass ein gewisser Prozentsatz der Frauen ihre Erfahrungen nicht aus eigenem Antrieb macht, sondern um Männern zu gefallen. Was daran schlimm sein soll? Nichts. Außer dass sich mal wieder alles um die Wünsche des Mannes dreht.
Die Sprache ist männlich
Daran dürfte sich so schnell nichts ändern, solange auch in den Medien als ernstzunehmende Experten fast nur Männer zu Wort kommen, betont Michèle Roten. Als Berufsschreiberin stellt sie außerdem fest: Auch Sprache ist manngemacht. Beispiel: Frauen in traditionellen Männerberufen.
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Sie müssen sich Bauherrinnen nennen oder Stadträtinnen (...) Abwandlungen vom Stammwort, der Urform: der männlichen Bezeichnung. In Berufen dagegen, wo die längste Zeit vor allem Frauen tätig waren, und erst seit kurzer Zeit auch Männer arbeiten, passiert etwas ganz anderes: Es werden grundlegend neue Formen gebildet. (...) Sie werden also keinen Hebammer finden, sondern einen Geburtshelfer. Und auch keinen Putzfrauer. Nicht einmal einen Putzmann. Sondern: einen Raumpfleger.
Michèle Rotens Buch ist ein literarischer Parcours zu Genderfragen von Lohnungleichheit bis hin zur Intim-Schönheits-Operation. Vergnüglich weist sie etwa darauf hin, dass der Satz "Wer hat ihren BH im Bad gelassen?" grammatikalisch falsch ist. Und es korrekt heißen müsste: "Wer hat seinen BH im Bad gelassen?" Am Ende des Buches dankt Michèle Roten dann aber doch "meiner Mutter, meinem Vater, meiner Schwester, meinem Mann und allen meinen Freunden" und lässt ihre Freundinnen außen vor.
Schade, dass Michèle Roten nicht mehr über ihre eigene Rolle reflektiert hat. Etwa darüber, inwieweit sie als Autorin männliche Sprache übernimmt. Und warum sie so viel über Sex schreibt. Ist das ein Akt der Emanzipation? Oder eine unbewusste Gefälligkeit an die Männer? Vielleicht wird Michèle Roten in zehn Jahren ein solches Buch schreiben. Bei ihrem Talent für Sprache und beobachtende Wahrnehmung wäre dies nur zu wünschen. Ihr Fazit im Buch ist jedenfalls vielversprechend:
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Ich glaube, ein zeitgemäßer Feminismus ist keine Theorie, keine Ideologie und auch keine politische Bewegung, er hat keine Parolen und typischen Kleidungsstücke. Zeitgemäßer Feminismus ist ein Bewusstsein, eine gewisse Sensibilität für allgemeine Ungerechtigkeit (...); er ist jede Frau, die ihren Weg geht.
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Michèle Roten, "Wie Frau sein?", Echtzeit Verlag
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