Nicht gefühlte Gefühle

Sex and "Shame"

Das Internet ist für viele Menschen ein virtueller Ort geworden, in dem sich Gefühle in Ersatzwelten ausleben lassen. So auch für einen gut situierten New Yorker im Film "Shame", der sich online sexuelle Befriedigung holt.

Inszeniert hat den Film der britische Künstler und Regisseur Steve McQueen, der schon mit seinem Debüt "Hunger" für Aufsehen sorgte. In der Hauptrolle ist Hollywood-Aufsteiger Michael Fassbender zu sehen, der dafür letztes Jahr bei den Filmfestspielen von Venedig mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet wurde.

Mittagsjournal, 07.03.2012

In der Nacht eine Prostituierte, in der Früh heftiger Blickkontakt mit einer fremden Frau in der U-Bahn, dann im Büro Pornografie im Internet für zwischendurch, schließlich Masturbation auf der Bürotoilette und after work geht es in die New Yorker Bars auf Frauenfang. Brandon (Michael Fassbender) ist sexsüchtig. Nach außen hin wirkt der Mann mit dem lukrativen Job in einem schicken Glaspalastbüro kontrolliert und abgeklärt, doch hinter der Fassade liegt ein inneres Chaos, das alles andere als durchschaubar ist. Eigentlich ein Charakter, der uns allen durchaus vertraut wäre, meint Regisseur Steve McQueen, und: "Keineswegs widerwärtig".

Sexuelles Versagen

McQueen legt in einer ausführlichen Charakteranalyse die inneren Zwänge des Mannes bloß, folgt ihm zunehmend in die soziale Isolation und emotionale Leere, lässt ihn bei einem ernsthaften Date mit einer Arbeitskollegin sexuell versagen, denn dabei geht es um wahre Gefühle, Gefühle, die einfach nicht mehr gefühlt werden. "Das Internet hat unser Verhältnis zu Sex tatsächlich stark verändert", meint Steve McQueen.

Kalte Architektur als Seelenspiegel

Prekäre Familienverhältnisse. Wieder einmal. Die Schwester, die in Brandons einsames Leben einbricht, ein möglicher Rettungsanker zur Versöhnung mit sich selbst, doch auch hier knirscht es im Beziehungsgebälk. Die kalte Architektur eines schicken New York als Seelenspiegel, die allseitige Verfügbarkeit von Sex im Online-Zeitalter - der Film "Shame" entwirft eine düstere Vision gegenwärtiger sexueller Verhältnisse. So manches, was hier als große Freiheit gefeiert wird, erweist sich als noch größeres Gefängnis. Regisseur McQueen setzt die Tragödie des Mannes aber mit derart forcierter Distanz in Szene, dass sie einem im Kino letztlich nicht wirklich nahe gehen will.

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Fox - Shame