Zwischen Freiwilligkeit und Zwang

Prostitution in Österreich

1989 fiel die Berliner Mauer, die Sowjetunion zerbrach. Dieser Umbruch in der Geschichte bedeutete auch einen schlagartigen Wandel für die Prostitution in Österreich, denn seither schätzt man den Migrantinnenanteil der Prostituierten auf 90 Prozent, und: Die meisten von ihnen stammen aus den ehemaligen Ostblockstaaten.

2008 wurde zum ersten und bisher einzigen Mal ein Expertinnenbericht zur Prostitution in Österreich erarbeitet und veröffentlicht. Darin ist zu lesen:

1.500 der damals 5.150 registrierten Prostituierten waren in Wien, 1.200 in der Steiermark gemeldet. Prostituierte sind nach österreichischem Recht verpflichtet sich registrieren zu lassen. Wie viele Frauen dennoch illegal in der Prostitution arbeiten, darüber kann man nur wild spekulieren.

Unter Druck gesetzt

In Wien lassen sich die Frauen im Polizeikommissariat am Deutschmeisterplatz registrieren. Danach gelten sie als "Neue Selbstständige", zahlen Steuern und Sozialversicherung. Sexuelle Dienstleisterinnen müssen wöchentlich eine Gesundenuntersuchung durchführen und alle drei Monate einen AIDS-Test. Aktuell sind in Wien registriert: 2.640 Frauen und 116 Männer, 137 davon aus Österreich, 899 aus Rumänien, 694 aus Ungarn, 265 aus Bulgarien, 179 aus der Slowakei, 113 aus Nigeria, 78 aus Tschechien, die restlichen 275 aus anderen Ländern.

Wie viele der Prostituierten Opfer von Frauenhandel sind, das kann man nicht einmal schätzen, sagt Evelyn Probst, Mitarbeiterin der Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel. In der Regel werden die Frauen entweder mit der Versprechung angelockt, sie könnten als Putzfrau, Kinderbetreuerin oder Kellnerin in Österreich arbeiten, oder aber es wird den Frauen von Anfang an gesagt, dass sie als Prostituierte arbeiten sollen, allerdings erzählen ihnen die Täter, was auch immer sie hören wollen, so Evelyn Probst. Von viel Geld in kürzester Zeit ist da die Rede, mit allen Freiheiten und den bestmöglichen Rahmenbedingungen.

Binnen kürzester Zeit haben die Frauen das Gefühl, sich nicht mehr zur Wehr setzen zu können. Die Täter drohen oft damit, ihren Verwandten oder Kindern im Herkunftsland Gewalt anzutun. Oft behaupten Täter, Kontakte bei der Polizei zu haben. Überprüfen lässt sich all das in der unmittelbaren Situation der Migrantinnen nicht. Sie stehen 24 Stunden, während der Arbeit und in den Wohnungen unter Kontrolle ihrer Peiniger.

Schwerer Neustart

Sobald Frauen - und das ist oft ein langer Weg, so Evelyn Probst - mit der IBF in Kontakt gekommen und in weiterer Folge vor den Tätern geflüchtet sind, beginnt der Versuch eines Neustarts im Leben. Die Frauen werden in geheimen Wohnungen untergebracht, meiden Bezirke, in denen sie den Tätern über den Weg laufen könnten, erstatten, wenn genügend Beweise und genügend Wissen vorhanden ist, Anzeige, versuchen ihre Kinder oder die Familie im Heimatland an sichere Orte bringen zu lassen.

In den letzten Jahren, so Evelyn Probst, hat sich die Sensibilität für das Problem des Frauenhandels in Österreich erhöht. Das Bewusstsein und das Engagement - zumindest der Polizisten und Polizistinnen, die auf den Aufgabenbereich spezialisiert sind - ist viel größer als früher.

Kein Zugang zum Arbeitsmarkt

Szenenwechsel ins Büro von Sophie, Bildungsraum für Prostituierte in Wien. Bei Sophie werden Prostituierte über ihre Rechte und Möglichkeiten informiert, sie bekommen Gratis-Lebensmittel, können sich duschen oder ihre Kleidung waschen. Man hilft ihnen, wenn sie aus der Prostitution aus und in ein anderes Gewerbe einsteigen wollen. Jedoch: Die Migrantinnen arbeiten als sogenannte "Neue Selbstständige", so wie auch Trainer, Coachs oder Aromatherapeuten, deren Arbeit nicht der Gewerbeordnung unterliegt. Sie haben aber keinen Arbeitsmarktzugang in Österreich, und auch keinen monetären Anspruch auf Arbeitslosengeld. Beides erschwert den Umstieg von Prostituierten auf einen anderen Job erheblich.

Auch Prostituierte kämpfen immer öfter mit dem finanziellen Auskommen. Eva van Rahden betont immer wieder, ihre Aussagen kann man nicht auf die Prostituierten in Österreich umlegen. Die Frauen, die bei Sophie Beratung suchen, sind ein kleines Segment einer großen Szene. Repräsentative Aussagen könne niemand tätigen. Neu in den Beratungsgesprächen ist jedenfalls das Thema Nummer 1 materielle Existenzsicherung.
Um höhere Preise verlangen zu können, bieten Frauen beispielsweise zusätzlich Massagen an, oder aber auch - wie es Eva van Rahden bezeichnet - Dienstleistungen im dominanten Bereich. Und die Frauen werden immer mehr unter Druck gesetzt, unsafe Sex anzubieten, um überhaupt was zu verdienen, so van Rahden.

Jede Menge Vorurteile

Sexarbeiterinnen werden in Österreich, so Eva van Rahden, nach wie vor stark stigmatisiert. Die Gesellschaft steht ihnen mit vielen Vorurteilen gegenüber. Immer wieder hat sie die Erfahrung gemacht, dass Frauen, wenn ihnen Gewalt angetan wurde und sie bei der Polizei Anzeige erstatten wollten, kein Gehör geschenkt worden ist.

Ein weiteres Problem ist, so Eva van Rahden, dass Prostitution in Österreich nach wie vor als sittenwidrig gilt. Konkret bedeutet das für die Arbeit der Prostituierten: Wenn ein Freier sich weigert zu zahlen, haben sie kein Recht, ihren Lohn einzuklagen.

Eva van Rahden spricht über sexuelle Dienstleistungen in einer ungewohnten Selbstverständlichkeit. Fast so, als wäre es ein Job wie jeder andere. Das ist er gewiss nicht, betont sie. Auf die Frage, ob und wie sehr die Frauen - aus ihrer Erfahrung heraus - unter ihrer Arbeit leiden, antwortet sie, dass Prostituierte keine homogene Gruppe sind. Die Frauen hätten sehr unterschiedliche Einstellungen und Erfahrungen.

Eine "unsichtbare" Gruppe

Fest steht, dass es ganz in der Verantwortung der Frauen liegt, sich in diesem Arbeitsfeld zu schützen. Es ist die Frage, ob ihnen das gelingt, oder ob den freiwilligen Sexarbeiterinnen ihre Selbstbestimmtheit abhanden kommt, wenn die Konkurrenz zu groß und das Einkommen zu klein ist.

Vermuten kann man, dass zumindest ein Teil der Frauen es sich nicht leisten kann, bei der Auswahl der Freier und den verlangten Sexpraktiken wählerisch zu sein. Über die Situation der meisten Prostituierten - und die meisten sind Migrantinnen - wissen wir kaum etwas. Sie sind und bleiben mit ihren Problemen und Bedürfnissen für die Gesellschaft, die Politik und die Sozialeinrichtungen unsichtbar.

Service

LEFÖ - Interventionsstelle für Betroffene von Frauenhandel

Übersicht

  • Migration