Auszeichnung an Patrick Modiano
Staatspreis für Europäische Literatur 2012
Der 66-jährige französische Autor, Patrick Modiano, wird in diesem Jahr den mit 25.000 Euro dotierten "Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur" erhalten, der am 28. Juli im Rahmen der Salzburger Festspiele verliehen wird. Dies teilte gestern Kulturministerin, Claudia Schmied mit.
8. April 2017, 21:58
Modiano, der in Frankreich neben zahlreichen anderen Preisen 1978, im Alter von erst 33, auch den wichtigsten, den Goncourt-Preis erhalten hat - sei einer, so die Begründung der Jury, "dessen Erinnern immer Vergegenwärtigung ist und der aus tiefstem Vergessen erzählt". Im deutschsprachigen Raum wurde Modiano einem breiteren Publikum Mitte der 1980er Jahre bekannt, nachdem Peter Handke seinen Roman " Eine Jugend" ins Deutsche übertragen hatte - fast alle der über 20 Werke Modianos liegen in deutscher Übersetzung vor.
Ein Werk als verdeckte Autobiografie
Modianos erster Roman erschien im Jahr der Maiunruhen 1968 und wirkte, gerade aus der Feder eines erst 23-jährigen Autors, wie ein Fremdkörper in dieser bewegten Zeit. "Place de l'Etoile" gab bereits den melancholischen Tonfall und das bei Modiano immer wiederkehrende Thema der von den Nationalsozialisten besetzten französischen Hauptstadt vor.
Jeder weitere Roman des äußerst zurückhaltenden, lang aufgeschossenen Autors, erschien dem Leser dann, nach und nach, als weiteres Bruchstück seiner verhüllten Autobiografie: eine geheimnisvolle, verschleierte Welt im Paris der 1950er und 1960er Jahre eröffnete sich, bevölkert von zwielichtigen, schwer fassbaren Figuren. Eine Welt, in der stets jemand - meist der Erzähler - auf der Suche ist, nach Biografien und Spuren aus der jüngeren Vergangenheit, der Zeit, als das Feldgrau der deutschen Besatzer zur dominierenden Farbe in der Lichterstadt geworden war. Wobei, ganz im Gegensatz zur verschwommenen, ungewissen Atmosphäre, die Modianos Romane ausstrahlen, die Topographie der Seine Metropole, Straßen, Plätze und Häuser von höchster Präzision sind, so als sei der Autor mit dem Pariser Stadtplan im Kopf zur Welt gekommen.
Als er 1978 für " Die Gasse der dunklen Läden" den Goncourt-Preis erhielt, entdeckte Frankreich einen sich mündlich nur sehr schwer und zögerlich ausdrückenden Modiano, der über seine Hauptperson sagte: "Er ist einer, der das Gedächtnis verloren hat und versucht, herauszufinden, wer er vorher war. Er verfolgt Spuren seiner Vergangenheit, sich vortastend, versucht Spuren von dem zu finden, der er einmal war. Der Gedächtnisverlust ist für mich ein Symbol dessen, was ein Leben sein könnte, jemand der seine Wurzeln und seine Identität sucht."
Die Quelle seines Schreibens
Über drei Jahrzehnte lang hat der Leser nur ahnen können, was Modiano, von Roman zu Roman zu dieser ständigen Suche nach Spuren der Vergangenheit antrieb. 2005, im Alter von 60, hat er sich dann sozusagen geoutet, in seinem Roman " Le Pedigrée", zu Deutsch " Der Stammbaum". Darin hat er trocken und distanziert, ja fast lakonisch aufgedeckt, was er seit seiner Kindheit mit sich herumschleppt, was die Quelle seines Schreibens und Suchens seit Jahrzehnten war, nämlich der absolute Liebesentzug, das Fehlen jeder Zuwendung seitens seiner Eltern und deren Verwicklungen in die Geschehnisse der Jahre, als die Hakenkreuzfahne über dem Eiffelturm wehte: Eine Mutter, die als zweitklassige Diva vor deutschen Soldaten und der Propagandastaffel tanzte, nach Paris gekommen war und vergeblich versuchte, in den von den Nazis übernommenen Continental Filmstudios Karriere zu machen. Und ein Vater, dem sie 1943 begegnet war und der es als Jude während der deutschen Okkupation geschafft hat, mit Schwarzmarktgeschäften, wechselnden Identitäten und dank manch guter Beziehung zu den Besatzern zu überleben.
Auch Modianos letzter Roman " Der Horizont", 2010 erschienen, ist geprägt von der Suche in vergangenen Zeiten, nur dass er - ein absolutes Novum - nicht Paris, sondern Berlin als Hauport der Handlung hat. Eine Stadt, so der Autor, die so alt sei, wie er selbst, die symbolträchtigste Stadt seiner Generation, über Jahrzehnte hinweg aus Ruinen wieder aufgebaut, wieder zu sich gekommen und vereint.