Ian Bremmer plädiert für mehr Privat

Das Ende des freien Marktes

Ian Bremmer beginnt sein Buch mit dem mittlerweile legendär gewordenen Ausspruch des amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama, der in seinem Buch "Das Ende der Geschichte" konstatierte: Wir erlebten nicht nur das Ende des Kalten Krieges, sondern den Endpunkt der ideologischen Entwicklung der Menschheit und die universelle Ausbreitung der liberalen Demokratie westlicher Prägung als endgültige Regierungsform des Menschen.

Für einige Jahre schien es wirklich so, als wäre die westliche Demokratie, gepaart mit der angloamerikanischen Variante des Kapitalismus, weltweit auf dem Vormarsch. Seit den 1980er Jahren zog sich in den westlichen Demokratien der Staat mehr und mehr aus der Wirtschaft zurück. Für Ian Bremmer, der ein überzeugter Anhänger der freien Marktwirtschaft ist, war das ein richtiger Schritt.

Zwischen 1980 und 2002 habe sich der weltweite Handel mehr als verdreifacht, schreibt er. Die Kosten der Geschäftstätigkeit - vor allem in den Bereichen Transport und Kommunikation - sind rapide gesunken. Und viele Handelsbarrieren sind gefallen. Bis vor kurzem noch lautete der fast weltweite Konsens: Weniger Staat, mehr privat.

Umkehr der Dogmen

Doch als am 15. September 2008 die Investment Bank Lehmann Brothers kollabierte, musste selbst im Mutterland des freien Kapitalismus' der Staat rettend eingreifen.

Seit dem Zusammenbruch von Lehmann Brothers werden auch die aufstrebenden Länder wie China und Russland mit anderen Augen betrachtet. Bis dato galt ja die Maxime, dass ein Land nur dann wirtschaftlich erfolgreich sein kann, wenn es mehr oder weniger demokratisch ist. Und dass wirklich erfolgreiche Unternehmen in Privathand zu sein haben. Aber das scheint heute nicht mehr zu stimmen.

Bürokratisch gelenkter Kapitalismus

Drei der vier nach Marktkapitalisierung größten Banken weltweit sind chinesische Staatskonzerne: die Industrial und Commercial Bank of China, China Construction und die Bank of China.

Es gebe keine strikte Trennung in staatskapitalistische Länder und in solche mit freier Marktwirtschaft, schreibt Bremmer. Keine Volkswirtschaft der Welt ist entweder gänzlich staatskapitalistisch organisiert oder hat sich ganz und gar der freien Marktwirtschaft verschrieben. Überall gibt es das eine so wie das andere.

Steigender Einfluss der Staatsunternehmen

Vor allem die großen nationalen Öl- und Gaskonzerne sind wichtige Instrumente des Staatskapitalismus'. Aber auch die Staatsfonds gewinnen mehr und mehr an Bedeutung. Diese Fonds beziehen ihr Kapital hauptsächlich aus zwei Quellen: entweder aus Devisen, die durch den Export natürlicher Rohstoffe verdient werden - der norwegische Pensionsfonds zum Beispiel verwaltet den aus den Ölexporten resultierenden Reichtum des Landes - oder aus Überschüssen, die aus einer positiven Handelsbilanz herrühren; so finanzieren sich die chinesischen Staatsfonds. Diese Fonds verfügen über riesige Vermögen und werden in Zukunft wohl eine noch größere Rolle spielen als jetzt schon.

Auf vier Billionen Dollar wurde der Wert aller Staatsfonds Anfang 2008 geschätzt. Das ist mehr als sämtliche Vermögenswerte aller Investment- und Hedgefonds der gesamten Welt zusammengenommen. Und Schätzungen des IWF zufolge soll der Gesamtwert aller Staatsfonds bis 2013 sogar auf 10 Billionen Dollar steigen. Es scheint also, als würden Staatsunternehmen mehr und mehr Einfluss gewinnen, und der freie Markt an seine Grenzen stoßen. Ian Bremmer hofft zwar, dass es sich hierbei nur um eine kurze Phase in der Geschichte handelt, und die freien Märkte bald wieder Oberhand gewinnen, aber ganz sicher ist er sich nicht.

Service

Ian Bremmer, "Das Ende des freien Marktes. Der ungleiche Kampf zwischen Staatsunternehmen und Privatwirtschaft", aus dem Amerikanischen übersetzt von Karsten Petersen, Hanser Verlag

Hanser - Das Ende des freien Marktes