Stefan Zweig in Brasilien

Zweite Heimat Petrópolis

Nach vielen Stationen der Flucht vor den Nationalsozialisten hatten Stefan Zweig und seine Frau Lotte im September 1941 das Haus in Petrópolis bezogen. Hier - etwa 60 Kilometer nördlich von Rio de Janeiro in der Serra dos Órgaos in 838 Meter Höhe - hatten sich im Laufe der Zeit viele Europäer angesiedelt und den Baustil geprägt.

So beschrieb Stefan Zweig, dessen Todestag sich im Februar zum 70. Mal jährte, seine Ankunft in Brasilien, im "Land der Zukunft" wie er es bezeichnete. Rio de Janeiro, die wunderschön gelegene Stadt mit Zuckerhut und Corcovado, war eine seiner ersten Stationen, später bereiste er das ganze Land. Nach Brasilien flüchteten er und seine Frau Lotte dann auch im Jahr 1941 vor den Nazis. In der ehemaligen Kaiserstadt Petrópolis hofften sie eine Zeitlang auf eine bessere Zukunft.

Kongresse im Casino

Die Europäer prägten den Baustil der alten Kaiserstadt, die an mehreren Kanälen liegt: Fachwerkbauten und Chalets inmitten von üppigster Vegetation, rosa-gestrichene Paläste, Pavillons, katholische Kirchen, Palmenhäuser und ein Casino, der sogenannte Pálacio Quitandinha. 1944 wurde das Casino vom brasilianischen Bauherren Joaquim Rolla im normannischen Stil errichtet und das Innere von der Hollywood-Designerin Dorothy Drape gestaltet.

Es war allerdings nur kurze Zeit in Betrieb, denn 1946 verbot Präsident Duarte das Glücksspiel. Heute steht das imposante Gebäude im Südwesten der Stadt für Kongresse zur Verfügung. Im Erdgeschoß ist ein Museum untergebracht.

Heute leben mehr als 300.000 Einwohner in dem Tourismusmagneten Petrópolis. Von ländlicher Idylle kann nicht mehr die Rede sein: Der Verkehrslärm ist überall zu hören, auch in dem Park, der den Palácio de Cristal umgibt. Diese Metall-Glas-Konstruktion wurde 1879 in Frankreich angefertigt und im Jahre 1884 der kaiserlichen Familie nach Brasilien geliefert.

Ursprünglich als Gewächshaus für Orchideen gedacht, wurde es letztlich von Prinzessin Isabel als Ballsaal verwendet. Hier soll sie während eines Balles die Abschaffung der Sklaverei in Brasilien verkündet haben. Heute werden im Palácio de Cristal Ausstellungen aller Art gezeigt.

Casa Stefan Zweig

Der Weg zur Casa Stefan Zweig führt an den wesentlichen Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbei. Zu sehen sind das, vom Kaffeebaron Barao do Rio Negro erbaute Palais, die Cathedrale de Sao Pedro de Alcantara, der klassizistische Kaiserpalast, der heute als Museum für das Zepter und die Kronjuwelen dient und das Sommerhaus des berühmten brasilianischen Piloten Alberto Santos Dumont, der auch die Armbanduhr erfunden hatte. Er soll auch die Dusche seines Hauses - genannt "A Encantada", das heißt auf Deutsch "verzaubert" - mit Alkohol beheizt haben.

Etwas außerhalb des Stadtzentrums, in der RuaGoncalves Dias 34, liegt etwas versteckt hinter einer schon lange nicht mehr weißen Betonmauer und überwachsen von Bougainvillea, Philodendren und diversen Palmen die Casa Stefan Zweig. Hier lebte Stefan Zweig mit seiner Frau Lotte sehr zurückgezogen, der Schock über die Vertreibung durch die Nationalsozialisten aus seinem geliebten Europa saß tief:

In Europa hatte der - wie er sich selbst nannte - "Jude aus Zufall" einen großbürgerlichen Lebensstil gepflogen, war viel gereist, positionierte sich als Pazifist. Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, wurden seine Werke auf die Liste der verbotenen Autoren aufgenommen. Über London, New York, Argentinien und Paraguay gelangten Zweig und seine zweite Frau Lotte schließlich nach Brasilien, für das er durch frühere Aufenthalte eine permanente Einreisegenehmigung besaß.

Sein letzter Wohnsitz in der RuaGoncalves Dias 34 wirkt verlassen, obzwar das Schild mit dem Porträt des Schriftstellers im Garten neu aussieht. Das Gartentor ist geschlossen, die Klingel ist eingerostet. Niemand öffnet. Niemand kommt die paar Schritte den Hügel hinunter. Das relativ flache Haus ist in einen Hang gebaut. Die Aussicht muss einst, bevor die vielen Betonbauten ringsherum errichtet worden sind, wirklich herrlich gewesen sein. Die Gartentüre lässt sich auch durch Rütteln nicht öffnen. Durch ein Gewirr aus Pflanzen und Elektroleitungen sind die offenen, grau gestrichenen Fensterbalken und die Terrasse zu erkennen.

Museum geplant

Bei dem Standplatz unter dem riesigen Gummibaum, vis-à-vis der Casa Stefan Zweig hält ein Taxi. Auch der befragte Taxifahrer kann keine Auskunft darüber geben, wer - außer dem Journalisten und Zweig-Forscher Alberto Dines, der sichtlich an diesem Tag nicht anwesend ist - einen Schlüssel zu der Casa Zweig haben könnte, denn das Haus wird von einem privatrechtlichen gemeinnützigen Verein unter dem Vorsitz von Alberto Dines verwaltet.

Seit Jahren ist man bestrebt, die letzte Wohnstätte des Schriftstellers in ein Museum umzuwandeln. Der Taxifahrer, der häufig mit seinem Wagen in der RuaGoncalves Dias auf Kundschaft wartet, weiß nur, dass sich selten jemand in dem Haus befindet. Regelmäßig komme die Putzfrau und immer wieder stehen Ausländer ratlos vor verschlossenen Türen. Vermutlich fehlt das Geld, die Pläne für ein Museum und eine Gedenkstätte in die Tat umzusetzen.

Verziert mit Plastikblume

Die letzte Ruhestätte von Stefan und Lotte Zweig liegt ein Stück außerhalb der Stadt. Der Friedhof von Petrópolis schmiegt sich, von einer weiß gekalkten Mauer umgeben, an einen dicht bewachsenen Hang. Mit Hilfe des Friedhofsgärtners ist das schlichte Grabmal in der dicht besetzten Nekropole bald gefunden. In lateinischer und hebräischer Schrift sind die beiden Namen, Geburts-und Sterbedatum auf den schwarzen Marmorstein appliziert. Eine gelbe Plastikblume ist der einzige Schmuck.

In der Nacht vom 22. zum 23. Februar 1942 begingen Stefan und Lotte Zweig mit einer Überdosis Veronal Selbstmord. Eine Hausangestellte fand die beiden am folgenden Nachmittag auf dem Bett liegend. Stefan Zweig hinterließ einen Abschiedsbrief:

Service

Stefan Zweig, "Brasilien. Ein Land der Zukunft", Insel Taschenbuch Verlag

Casa Stefan Zweig

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