Schmäh und Dialektik

Die "Café-Sonntag"-Glosse von Severin Groebner

Der Unterschied zwischen Schmäh und Dialektik ist leicht ausgemacht. Die Dialektik haben die Philosophen erfunden. Als erster ein gewisser Zenon von Elea. Müssen Sie sich nicht merken. Der ist schon tot und Elea gibt's auch nimmer.

Groebner liest Groebner

Die Philosophen wiederum wurden von den Griechen erfunden. Einer der berühmtesten war Diogenes. Der lag dauernd in einer Tonne, damit er sagen konnte: Geh mir aus der Sonne! Weil sich Tonne nämlich auf Sonne reimt. Das klingt dann lyrisch. Und das haben auch die Griechen erfunden: die Lyrik und die Lyra und Europa und überhaupt so ziemlich alles, womit man sich schön die Zeit vertreiben kann, wenn man sonst nichts zu tun hat. Und warum haben die Griechen die Zeit dazu gehabt? Weil sie Sklaven hatten. Seit sie keine Sklaven mehr haben, haben die Griechen ein wirtschaftliches Problem. Drum sind sie jetzt auch Schmähstad.

Ähnlich die Philosophen, die haben zwar keinen Schmäh, aber viele Worte und Dialektik und Begrifflichkeiten und wenn man sie liest, hat man das alles auch und wenn man sich an den Heidegger wagt, hat er zu alldem auch noch Kopfweh. Ohne irgendwo ang'rennt zu sein. Dafür ist der Heidegger für einen schon irgendwo ang'rennt. Aber Schmäh ist kaum in der Philosophie zu finden. Aus zwei Gründen: Die Philosophen sind so stolz auf ihre Gedanken, Begriffe und Worte, dass sie sie einsperren, zwischen Buchdeckel zwängen und ihren Namen drauf schreiben. Ähnlich wie kleine Kinder, die immer "Das ist meins!" schreien.

Den Schmäh hingegen muss man frei lassen, damit er rennen kann. Dann kann er vom Anser-Schmäh sogar bis zum Elfer-Schmäh werden. Zwölfer Schmäh ist unbekannt. Zwölf gibt's nur bei den Aposteln und an die kann man glauben. Früher musste man sogar an sie glauben, denn wer nicht an sie geglaubt hat, musste daran glauben. Man sieht sofort: Sehr wenig Schmäh hier. Und zweitens ist der Schmäh ein Wiener. Natürlich gibt es auch Wiener Philosophen. Im Kaffeehaus. Nur schreiben die keine Bücher, die schreiben an. Und trinken Achterln. Das macht sie sympathisch für das Gastronomiepersonal und ab dem 231. Besuch werden sie dann als "Herr Professor" angeredet. Schmähhalber.

Bekanntere Philosophen aus Wien sind Karl Popper und Ludwig Wittgenstein. Popper war Positivist, als positiv noch kein negativer Begriff war, mochte keine Mods und trug dauernd Lacoste-T-Shirts. Wittgenstein war schwul, Gärtner in Hütteldorf und sein Neffe war mit Thomas Bernhard befreundet.
Beide starben in England. Schmäh ist von Ihnen keiner überliefert. Weder Überschmäh noch Häuselschmäh. Das mag an der englischen Küche liegen.

Aber dialektisches kennen wir: Popper hat gesagt: "Die Toleranz muss so tolerant sein, dass sie die Intoleranz nicht toleriert", Wittgenstein hat gesagt: "Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen." Er hat dann aber trotzdem weiter geredet. Ohne Schmäh. Bleibt die Frage: Was ist also dialektisch? Das ist einfach: Dialektisch ist ein Tisch, der unter einem Lichtbild platziert wird, welches gerade eine undichte Stelle hat. Dia Leck Tisch. Nein, das war ein Schmäh. Und zwar einer, der an den Erfinder des dialektischen Materialismus erinnert, an Karl Marx. Der hatte nicht nur einen schönen Gemeindebau in Wien, sondern auch so einen Bart. Nur so, aus Schmäh.