"Nichts ist mehr selbstverständlich"
Vor Prozess: Breivik hat Norwegen traumatisiert
Am Montag beginnt in Oslo einer der aufsehenerregendste Prozesse in der Geschichte des Landes - der Mordprozess gegen Anders Behring Breivik. Der rechtsextreme Attentäter hat im vergangenen Juli 77 Menschen getötet. Norwegen hat sich bis heute nicht von der Schreckenstat erholt.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 14.4.2012
Ins Gedächtnis gebrannt
Die Bombe in Oslo und das Massaker in Utoya haben sich in das tief in das Gedächtnis der Norweger gebrannt, jeder weiß noch ganz genau, wo und wann er an diesem Tag das erste Mal davon gehört hat. Auch die junge Parlamentsabgeordnete Jette Kristiensen, die selbst jahrelang das Sommercamp der Jugend-Arbeiterpartei besucht hat, kann sich noch ganz genau daran erinnern: "Es war der erste Tag meines Urlaubs, als mich plötzlich meine Mutter angerufen hat und mir von der Bombe in Oslo erzählt hat. Und dann schon habe ich schon auf Twitter die ersten Nachrichten von meinen Kollegen gesehen, die in Utoya waren und geschrieben haben, dass jemand um sich schießt."
"Großer Schock"
Vor allem das Massaker auf Utoya ist für die Norweger unbegreiflich. Die Vorstellung, dass die Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren eineinhalb Stunden lang um ihr Leben laufen mussten, hat die Bevölkerung in einen Schockzustand versetzt.. Der 36-jährige Fruga Mortensen kennt Utoya seit seiner Kindheit, auch er ist erschüttert: "Ich lebe nur zehn Minuten von dort entfernt und fahre oft mit dem Boot um die Insel herum. Diese Bilder im Fernsehen zu sehen und zu wissen, was dort passiert ist, ist ein großer Schock für mich.“
Kein fremder Terrorist
Seit einem Jahr versuchen die Norweger zu verstehen, wie ein einzelner Mann das Land derartig in seinen Grundfesten erschüttern konnte. Und es war kein fremder Mann aus einem fremden Land, der die 77 Menschen kaltblütig erschossen hat, sondern ein junger, blonder Norweger - ein Schock für die norwegische Bevölkerung, sagt die Psychologin Anne-Kari Torgelsboen von der Universität Oslo: "Zuerst haben wir alle gedacht, dass ein ausländischer Terrorist für die Anschläge verantwortlich ist. Dann haben wir eingesehen, dass es ein norwegischer Staatsbürger war, der uns das angetan hatte - es ist schwer, dafür Worte zu finden."
Sicherheit nicht mehr selbstverständlich
Für die meisten ist seit dem Tag nichts mehr wie vorher, sagt Torgelsboen. "Nichts ist mehr selbstverständlich, das haben wir festgestellt. Norwegen war immer ein sehr sicheres Land und wir haben alles wie selbstverständlich hingenommen. Und jetzt mussten wir einsehen, dass das Böse überall zuschlagen kann auf der Welt. Auch in Norwegen." Der Doppelanschlag von Anders Behring Breivik hat jedenfalls eine tiefe Wunde hinterlassen, der 22. Juli 2011 hat sich zu einem nationalen Trauma ausgewachsen. Den Tag nennen die Norweger übrigens mittlerweile „Twentysecond Seven“, eine Anlehnung an 9/11, den Anschlag auf das World Trade Center in New York.