Nationalpark Wattenmeer
Wattwurm, Nesselqualle und Austernfischer
Als "Schimmelreiterland" ist die Nordseeküste Deutschlands bekannt. Vom dänischen Esbjerg und dem holländischen Den Helder erstreckt sich über 40 Kilometer das größte zusammenhängende Wattenmeer der Welt. 4.400 der insgesamt 10.000 Quadratkilometer gehören zum deutschen Schleswig-Holstein.
8. April 2017, 21:58
"Wir Friesen sagen: Das Meer nimmt und gibt. Gott schuf das Land und die die Friesen den Deich", heißt es an der Nordseeküste und im sogenannten "Schimmelreiterland". Ausgehend von der Stadt Husum, wo im Frühling beim Schloss Millionen violette Krokusse blühen, zieht es viele Menschen in jene Landschaft, die der Dichter Theodor Storm in seinen Büchern beschrieben hat: ins Marschland, zu den Deichen, Salzwiesen und Kögen, in die Raststation von Ringel- und Nonnengans, Knutt und Alpenstrandläufern. Für unzählige Vogelarten ist das Watt ein "Trittstein", eine Zwischenstation auf ihrem Zug von Nordost-Kanada und Nord-Sibirien nach Süden.
Künstlicher Küstenverlauf
1436 wurde der erste, der "Alte Wiedingharder Koog" errichtet und somit neuer, fruchtbarer Boden für die Landwirtschaft dem Meer abgerungen. Durch Lahnungen und Deiche schützte man diese neuen Ackergründe und die Menschen, die hier lebten, vor den Sturmfluten der Nordsee. Bis ins 20.Jahrhundert entstanden weitere 90 Köge.
Besonders während der Nazi-Zeit genoss das Thema "Landgewinnung" hohe Priorität. Allein in diesen Jahren wurden zehn neue Köge geschaffen. Der letzte Koog, der Beltingharder Koog, entstand in den 1980er Jahren. Dann wurde das restliche Wattenmeer zum Naturschutzgebiet erklärt. Der heutige Küstenverlauf von Schleswig-Holstein ist also weitgehend künstlich geformt.
Weiden säumen die schmalen Straßen, die das flache Land für Außenstehende ohne erkennbare Ordnung durchschneiden. Sie führen zu den vereinzelten Gehöften und landwirtschaftlichen Betrieben, die außerhalb des Nationalparks Wattenmeer liegen. Im Sommer werden die Wege von Radfahrern frequentiert, die Ausflüge ins Schimmelreiterland machen. Sie müssen bei guter Kondition sein, auch wenn sie sich hauptsächlich im platten Land bewegen, denn der frische Küsten-Wind stellt immer wieder eine Herausforderung dar. Kein Wunder, dass man überall außerhalb der geschützten Zonen die sogenannten "Spargeltarzane" - Windräder zur Energie-Gewinnung – sieht.
Brutparadies für Vögel
Im Beltingharder Koog verläuft neben dem etwa acht Meter hohen Deich, auf dem kugelrunde, mit rosa Zeichen versehene Schafe weiden, ein schmaler Schienenstrang. Er führt auf einem geschotterten Damm direkt ins Meer und scheint im diesigen Nichts zu verschwinden. In ein paar Stunden, wenn sich das Meer zurückgezogen haben wird, wird er durch das graue, weiche Schlickwatt führen, zu einer der Halligen, der winzigen, bewohnten Erhebungen im Wattenmeer, die nicht per Schiff erreicht werden können.
Es ist eine windige Landschaft, diese Schnittstelle von Land und Meer. Hier treffen Süß-und Salzwasser aufeinander. Etwa eine Million Brutvögel bauen im Frühling in den Salzwiesen und Dünen ihre Nester, wie etwa Küstenschwalbe, Austernfischer, Rotschenkel und Silbermöwen. Alle sechs Stunden wechseln sich Ebbe und Flut ab. Sie sind die Landschaftsgestalter in diesem ausgedehnten System aus großen Wattströmen und kleinen Prielen, welche weite Wattflächen durchziehen und feste, trocken fallende Sandinseln säumen. Muschelbänke, dichte Seegraswiesen wechseln sich mit dem weichen Schlickwatt ab. Bei Ebbe kann man für einige Stunden sozusagen auf dem Meeresgrund wandern.
Ein einzigartiges Erlebnis ist das: Man hört nur mehr den Wind, das Quatschen des nassen Schlicks, die Vogelrufe und eine Ahnung vom weit zurückgezogenen Meer. Wattvögel trippeln auf der Suche nach Nahrung über den Sand, picken nach Würmern und Muscheln. Garnelen flutschen in den Wasserlacken davon. Krabben, Seesterne und Einsiedlerkrebse kann man aus nächster Nähe betrachten. Die Luft duftet nach Salz und Meeresboden. Darüber der weite Himmel mit grandiosen Wolkentürmen und eleganten Vogelschwarm-Formationen.
Zum Erhalt des ökologischen Gleichgewichtes
Im Zuge der Auseinandersetzungen um den Beltringharder Koog wurde in Husum das Wattenmeerbüro des WWF Deutschland eingerichtet. Seit ein paar Jahren ist es samt Besucherzentrum in der Hafenstraße 3 in Husum beheimatet. Ein guter Platz, denn immerhin kommen pro Jahr etwa 50.000 Besucher ins Haus, um sich über das Wattenmeer zu informieren.
Etliche davon entschließen sich auch zu einer der angebotenen Wattenmeer-Führungen und können auch Seehunde und Kegelrobben beobachten. Sogar Wale, nämlich die kleinen Schweinswale, kommen in der Nähe von Sylt vor. Musste das WWF-Team vor 30 Jahren noch gegen Landgewinnungsbestrebungen kämpfen und sich darum bemühen, geht es heute um den Erhalt des ökologischen Gleichgewichtes im Wattenmeer. Eine der Hauptgefahren für das Wattenmeer ist der Meeresspiegelanstieg durch die globale Erderwärmung.
Darüber hinaus ist das Wattenmeer vielen Bedrohungen ausgesetzt: Öl- und Gasförderung, Pipelines und Kabel stören das ökologische Gleichgewicht. Das Risiko von Ölkatastrophen wie bei dem Schiffsunfall der "Pallas" im Jahr 1998 schwebt stets wie ein Damoklesschwert über dem Naturschutzgebiet. Außerdem gelangen immer noch viel zu viele Schadstoffe ins Meer und durch intensive Fischerei reduziert sich der Fischbestand drastisch. Dadurch wird das Nahrungsangebot für viele Tiere eingeschränkt. Und auch über die – an sich naturnahe – Energiegewinnungsform mit Hilfe von Windrädern, die überall außerhalb des Nationalparks stehen, müssen die Diskussionen weitergehen. Einen Erfolg konnte der WWF bereits erringen: Es gibt keine Offshore-Windräder im Bereich des Wattenmeeres.
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