Regisseur Olivier Py im Interview

Ein fast vergessener "Hamlet"

In der Neuproduktion der Oper "Hamlet" im Theater an der Wien spielen die Wiener Symphoniker unter der Leitung von Marc Minkowski. Nicht zum ersten Mal arbeitet Minkowski dabei mit seinem französischen Landsmann Olivier Py zusammen, der als Regisseur verantwortlich zeichnet.

Kulturjournal, 23.04.2012

Sebastian Fleischer: Olivier Py, die Oper "Hamlet" von Ambroise Thomas war ein richtiger Hit im 19. Jahrhundert, geriet wie viele französische Opern aber später fast in Vergessenheit. Was, denken Sie, war der Grund dafür?
Olivier Py: Das weiß ich auch nicht genau, denn es ist wirklich unfair, dass die Oper so vernachlässigt wird. Schuld daran könnte freilich das Libretto sein, das doch ziemlich vom original Shakespeare-Drama abweicht. Unsere Aufgabe war es also, dem Stück durch unsere Inszenierung wieder mehr vom ursprünglichen Shakespeare zurückzugeben. Dadurch könnte auch die Musik besser zur Geltung kommen, denn es handelt sich hier um wirklich starke Bühnenmusik. Ich würde sogar sagen, dass die Musik jenen Shakespeare-Geist in sich trägt, den man im Libretto vergeblich sucht.

Kürzlich haben Sie in einem Interview gemeint, diese Oper sei eine bürgerliche Version des "Hamlet", sie sei sehr süßlich und enthalte zu viel Bla-bla. Wie gehen Sie damit um?
Ja, das stimmt, es findet sich viel Bla-bla und viel Schlagobers in dieser Oper, und es werden vorwiegend bürgerliche und psychologische Probleme abgehandelt. Auch bestimmte politische Themen, um die es im Original-"Hamlet" geht, finden sich im Libretto nicht wieder. Denn Hamlet hat ja vor allem im 20. Jahrhundert aufgezeigt, wie man gegen einen Diktator revoltieren kann - oder auch, wie eine Revolution misslingt. Ich denke, ähnlich wie Hamlet sind auch wir ständig mit dem Scheitern konfrontiert, wenn wir versuchen, die Welt zu ändern. Um diesen Aspekt geht es in meiner Inszenierung.

Ophelia, die nach Hamlets Liebesentzug verrückt wird und sich ertränkt, rückt in der Oper stärker in den Mittelpunkt als bei Shakespeare. Wie sehen Sie diese Figur?
Ophelias Selbstmord widmet die Oper ja eine große Szene, die es im Original nicht gibt. Es ist eine Szene mit wundervoller, verrückter Musik. Verrückt sind in diesem Stück ja alle: Gertrude, Claudius, natürlich Hamlet und immer mehr auch Ophelia. Ihre Geschichte ist für mich wirklich einzigartig: Ophelias Schicksal ist kein wirklich gewaltsames, aber sie gerät Stufe für Stufe immer mehr in die Dunkelheit.

Von Dunkelheit und vielen Stufen ist ja auch das Bühnenbild geprägt...
Ja, das stimmt, wie in vielen meiner Operninszenierungen. Das Bühnenbild ist ein Grab oder auch ein Gefängnis. Ich denke, es passt sehr gut zur Musik. Es ist dunkel, aber auch hell genug, um als Bühne zu funktionieren. Mein Bühnenbildner Pierre-André Weitz hat eine sehr bewegliche Ausstattung geschaffen. Sie wirkt wie eine Art langsamer Albtraum, und die Mauern werden fast zu eigenen Charakteren. Das "Theater im Theater", das ja bei "Hamlet" eine große Rolle spielt, versuchen wir hier auch zu realisieren. Hamlet selbst kann ja zwischen Realität, Theater und Traum am Ende nicht mehr unterscheiden.

Mit dem Dirigenten Marc Minkowski, dem musikalischen Leiter dieser Produktion, haben Sie bereits mehrmals zusammengearbeitet. Wie gehen Sie denn gemeinsam an die jeweiligen Werke heran?
Wir lassen uns viel Zeit und reden über die Werke schon lange vor der ersten Probe. Es ist immer gut, mit einem Dirigenten zusammenzuarbeiten, der das Theater liebt, und ich selbst verehre die Musik. Wir stimmen also meistens überein. Wir reden auch viel über den Kontext des jeweiligen Werkes. Denn ich bin ja kein Regisseur, der historische Deutungen reproduziert. Im Fall der Oper "Hamlet" haben wir beide erkannt, dass das Werk von der Musik getragen wird, und wir eine Inszenierung brauchen, die die Musik zur Geltung kommen lässt.

Sie haben vor kurzem die Leitung des Pariser Théatre de l'Odéon an Luc Bondy abgegeben und werden ab 2013 Intendant des Theaterfestivals in Avignon. Sie wären bekanntlich gerne länger in Paris geblieben. Mit welchem Gefühl gehen Sie?
Ich bedaure es natürlich wegzugehen, denn wir haben am Théatre de l'Odéon viel bewegt. Ich konnte meine Vision eines politischen und sozialkritischen Theaters erfolgreich umsetzen. Wir hatten stets ein volles Haus, also verstehe ich nicht, warum man diese Entwicklung vorzeitig abgebrochen hat. Aber ich bin glücklich, nach Avignon zu gehen, dort bin ich ja erstmals auf der Bühne gestanden, also ist es für mich fast wie eine Heimkehr.

Service

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