Berührende Gefühle
Andrea Maria Dusl und der Fliederbuschen
"Ich hab keine Definition, sondern nur eine Vermutung: Kunst ist Verdichtung, nicht im Sinne von Dichter, sondern Verdichtung von Leben." Kunst ist Leben, auf den Punkt gebracht, sie ist das Dasein in seiner Essenz, vermutet die Autorin, Grafikerin und Filmemacherin Andrea Maria Dusl.
27. April 2017, 15:40
Man muss nicht einmal ein Museum dafür besuchen, Kunst kann etwa auch in Wien Leopoldstadt vor einem Blumenstand auf einem Markt ihren Ursprung haben, findet sie: "Ich habe mir am Samstag vier Fliederbuschen gekauft - den Fliederbuschen anschauen ist schon Kunst, nicht Kunst im Sinne der Kulturbeflissenen, die Kunst verwalten, aber das Sehen von etwas löst Gefühle aus, und wenn Gefühle berühren, dann kann das Kunst sein."
Andrea Maria Dusl, Autorin und Filmemacherin
"Kunst" ist ein Wort, das abgeschafft gehört.
Wer hat die Kunst erzeugt?
Kann man den Moment, da Kunst entsteht, eindeutig bestimmen? Was macht einen alltäglichen Gegenstand zum Kunstgegenstand? Ist Kunst ein Zusammenspiel von kreativer Tätigkeit und geheimnisvollem Zufall? Fragen wie diese beschäftigen Andrea Maria Dusl: "Jetzt weiß ich natürlich nicht, wer hat diese Kunst erzeugt, war es die Dame aus dem Weinviertel, die die Fliederbuschen abgeschnitten hat, oder ich, die ich sie in Vasen getan habe, oder der Moment, in dem ein Mailüfterl durch die Wohnung gestrichen ist, oder vielleicht was anderes; aber das Berührtwerden von einer Sinneswahrnehmung, das wäre Kunst."
In Wahrheit ist "Kunst" ein Wort, das Andrea Maria Dusl gerne abschaffen würde, denn längst sind, so ihre Diagnose, mit diesem Begriff hauptsächlich ökonomische Werte verbunden - und mit Geld habe Kunst nichts zu tun. Seit vielen Jahren betreut Dusl in der Wiener Stadtzeitung "Falter" die Kolumne "Fragen Sie Frau Andrea", diese Arbeit bringe sie jedoch seit einiger Zeit in ein Dilemma, gesteht sie, denn Antworten und Definitionen zu liefern, liege ihr eigentlich gar nicht. Am liebsten wäre ihr daher eine zweite Kolumne, in der sie nur Fragen stellt - auch solche, die vielleicht niemals beantwortet werden können.
Eine Frage, die Dusl beschäftigt ist, wieso die Menschen aus den ökonomischen und politischen Fehlern nichts gelernt haben: "Es regt mich auf, dass wir schon wieder eine Krise haben. (...) Niemand ist glücklich. Und die paar, die glücklich sein könnten, schauen auch nicht glücklich aus. Was ist da los?"
Ungewöhnliche Reisen
"Blue Moon" hieß Anna Maria Dusls preisgekröntes Filmdebüt, "Boboville", "Channel 8" und "Die österreichische Oberfläche" sind einige ihrer Bücher. "Ins Hotel konnte ich ihn nicht mitnehmen. Kein Roman" heißt nun das im Metroverlag erschienene jüngste Werk, in dem die Autorin sieben ungewöhnliche Reisen durch die Metropolen der Welt beschreibt. Von Manhattan bis Moskau zieht sich die Spur der Asphalt-Abenteuerin, titelgebend ist eine Geschichte in Havanna. Dusls Wortwahl mag wenig romantisch klingen, doch es geht darin um die Herbergssuche eines zärtlich verliebten Paar
Es gibt viele Arten, eine Stadt zu erkunden. Andrea Maria Dusl wählte mit Sicherheit nicht die gängigste: in der Dachrinne. Elf Jahre alt war Andrea Maria Dusl, als sie den Häuserblock ihres Bezirks auf diese luftige Weise umrundete. Nach vielen Jahren ist dieses Kindheits-Erlebnis aus ihrem Gedächtnis aufgetaucht und wurde sogleich niedergeschrieben. Im Grunde sei dies das Prinzip ihrer Arbeit, erklärt Dusl, es gehe darum, gegen das Vergessen anzuschreiben. "Es geht darum, Geschichten zu erzählen, weil sie sonst verschwinden."
Das Prinzip der Kunst sei nichts anderes, sagt Andrea Maria Dusl: Im Wesentlichen sind Dichtung, Musik, ein Bild oder ein Film der Versuch, die Vergänglichkeit zu besiegen - Leben auf den Punkt gebracht.