Colin Crouch zum Neoliberalismus

Das politische Buch des Jahres

In Berlin hat die Friedrich-Ebert-Stiftung ihren Preis für das politische Buch des Jahres vergeben. Er geht an den britischen Autor Colin Crouch für sein im Suhrkamp Verlag erschienenes Buch "Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus".

Kultur aktuell, 10.05.2012

Ein freundlicher Endsechziger mit langgewelltem weißem Haar, ganz der Typ britischer Professor, der er zur Bestätigung des Klischees auch ist: Colin Crouch lehrt Verwaltungslehre an der Warwick Business School in England, beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Wechselspiel von wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen und hatte mit einer seiner Zeitdiagnose unter dem Schlagwort "Postdemokratie" schon beträchtlichen Erfolg. Nun steht er auf der Bühne der SPD- nahen Friedrich Ebert-Stiftung in Berlin, deren Jury sein neues Buch zum politischen Buch des Jahres gekürt hat.

Den Titel "Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus" leitet Colin Crouch aus einer ideengeschichtlichen Überlegung her. Er beschreibt zunächst, wie sich der Neoliberalismus weltweit durchsetzen konnte - vor allem Anfang der 1980er Jahre, als die sogenannte Chicago-Schule Staatenlenkern wie Ronald Reagan und Margaret Thatcher die entscheidenden Ideen gab. Absoluter Vorrang des Marktes vor dem Staat, eine Wirtschaft, die sich voll und ganz auf Gewinne und Wertsteigerung für Aktionäre zu konzentrieren hätte, und ein Staat, der sich aus dem sich selbst regulierenden Mechanismus des Marktes nach Kräften herauszuhalten hätte.

Colin Crouch zieht einen weiten Bogen zur Krise der letzten Jahre, er meint, dass es genau die einst so gepriesenen Marktmechanismen waren, die zu finanziellen Exzessen und letztlich zum drohenden Zusammenbruch des Weltfinanzsystems geführt hätten, und dass der vielgeschmähte Staat am Ende geradestehen musste für jene, die die Gewinne eingesteckt hatten und die Verluste nun der Allgemeinheit aufbürden konnten.

Keine wirkliche Alternative

So weit, so - nun ja - schon bekannt. Colin Crouch hat eine solide Diagnose erstellt, aber bei den Ansätzen zur Therapie bleibt er eher vage. Die großen Konzerne hätten die Macht weitgehend an sich gerissen, auch durch ihren politischen Einfluss, und die Politik hätte sich zu wenig mit der veränderten Lage befasst. Die Gegenbewegung müsste, so Colin Crouch, vor allem aus der Kraft der Zivilgesellschaft kommen, etwa aus Protestgruppen, die Konzernen auf die Finger schauen. Sigmar Gabriel, dem Parteichef der SPD, ist es erkennbar nicht hundertprozentig wohl bei dieser Überlegung.

Stoff für Debatten bietet Professor Crouch zur Genüge, auch wenn er dem von ihm konstatierten Überleben des Neoliberalismus keinen durchgebauten Alternativentwurf entgegenzuhalten vermag.

Service

Colin Crouch, "Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus - Postdemokratie II", Suhrkamp Verlag

Suhrkamp - Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus