Kreativer Protest
Russische Intellektuelle gegen Putin
Unterdrückter Widerstand macht kreativ: wenn Demonstrationen verboten werden, dann eben Spaziergänge gegen das Regime. Wenn Bilder nicht die Wahrheit zeigen dürfen, dann illustrieren weiße Leinwandflächen die hohle Hülle der Macht.
8. April 2017, 21:58
Kultur aktuell, 14.05.2012
Vorbild Occupy-Bewegung
Die Stimmung ist ausgelassen, rund zehntausend Regierungskritiker marschieren friedlich und fröhlich durch Moskaus Straßen. Angeführt wird der Protest-Marsch von bekannten Literaten, unter ihnen Krimi-Starautor Boris Akunin. Er habe den so genannten Kontroll-Spaziergang organisiert, um zu sehen, ob man sich in Moskau noch frei bewegen könne, ohne verhaftet zu werden, so Akunin: "Wir wollen zeigen, wie absurd die Taktik ist, die Putin seit Beginn seiner dritten Amtszeit verfolgt. Gummiknüppel und Verhaftungen, so geht man nicht mit seinem eigenen Volk um."
Tatsächlich wurden rund um die Angelobung Putins als Präsident Hunderte Demonstranten festgenommen, die friedlich gegen Putin zu demonstrierten. Seither sucht die jüngste politische Protestbewegung neue Formen des Widerstands, wie die Besetzung öffentlicher Plätze nach dem Vorbild der Occupy-Bewegung oder eben einen literarischen Spaziergang. Das zeige, dass der Protest gegen die Langzeitherrschaft Putins trotz Polizeigewalt nicht abreißen und irgendwann zu einem politischen Wandel führen werde, sagt die Publizistin Irina Scherbakowa.
Weiß auf weißer Leinwand
Schauplatzwechsel an das Ufer des Moskauflusses, direkt gegenüber des Kremls. Dort versammelte sich am Wochenende ein gutes Dutzend berühmter bildender Künstler, um das politische Machtzentrum des Landes zu malen. "Plein air" nannten sie die Aktion, ganz nach dem Vorbild französischer Freilichtmaler. Doch die Künstler verwendeten nur weiße Farbe und so blieben auch die Leinwände weiß: "Die derzeitige Staatsmacht ist einfach nicht inspirierend, sagt die Künstlerin Diana Matschulina. So sehr ich auch versuche, in diesem Motiv etwas Schönes zu finden, es gelingt mir nicht. Ganz im Gegenteil, alles Gute und Schöne wird von ihr erdrückt."
Hoffen auf langfristigen Erfolg
Doch was wollen die Künstler mit ihrem Protest erreichen, hoffen sie dadurch auf politischen Wandel? Darum gehe es bei dieser Aktion gar nicht, meint der Maler Sergej Kalinin. Für ihn sei wichtig, dass jeder frei seine Meinung äußern könne und nicht schweigen müsse.
Der junge Aktivist und Künstler Anton Nikolajew hingegen ist überzeugt, dass der politische Widerstand gegen Putin längerfristig Erfolg haben werde: Putin sei schon 12 Jahre an der Macht, das sei viel zu lange, meint Nikolajew. Heute seien 90 Prozent der Intelligenzia gegen Putin, dieser werde nur noch von den einfachen Leuten und weniger gut Gebildeten unterstützt. Dieses Pulverfass werde bald explodieren, wenn es keinen politischen Wandel gebe.
Ob und wann dieser tatsächlich kommt, ist derzeit offen. Die Behörden setzen vorerst jedenfalls auf Entspannung, am Wochenende wurde bei den polizeilich nicht genehmigten Protestaktionen niemand festgenommen.