Inszeniert von Jan Lauwers

Camus' "Caligula" im Burg-Kasino

1944 schrieb der französische Schriftsteller und Philosoph Albert Camus inmitten der Wirren des Zweiten Weltkriegs sein Theaterstück "Caligula", ein Stück über Macht und Brutalität, geschrieben in direktem Bezug auf die totalitären Regime seiner Zeit.

Zuletzt selten aufgeführt hat "Caligula" am Donnerstag, 17. Mai 2012, im Wiener Burg-Kasino in einer Inszenierung des belgischen Theatermachers und Künstlers Jan Lauwers Premiere. Lauwers bringt "Caligula" mit Schauspielern seiner Needcompany und Ensemblemitgliedern des Wiener Burgtheaters auf die Bühne.

Kulturjournal, 16.05.2012

Jan Lauwers bespielt mit seinem Ensemble den Saal im Kasino am Schwarzenbergplatz in seiner vollen Länge. Das Publikum sitzt um das Bühnengeschehen herum. In der Mitte eine lange Tafel, ein kleines Podest, auf dem Caligula thront. Dahinter eine Klanginstallation geformt aus Becken, und ein lebensgroßes Pferd mit erigiertem Penis. Caligulas Hallen als Spielort willkürlicher Machtausübung.

Nach dem plötzlichen Tod seiner Schwester und Geliebten wird sich der römische Kaiser Caligula der Absurdität der Existenz bewusst und strebt fortan nach dem Unmöglichen.

Selbstmord auf hohem Niveau

Camus' "Caligula" ist ein Stück, das selten gespielt wird - für Jan Lauwers unverständlich, sei es doch seit seiner Entstehung immer aktuell gewesen: "Leider ist es ein sehr aktuelles Stück, leider müssen wir immer noch über die gleichen Dinge sprechen. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es weltweit über 850 Kriege gegeben - in nur 60 Jahren, und unzählige finden derzeit statt. In den Nachrichten wird permanent über Diktatoren und Diktaturen berichtet. Also - ich glaube, dieses Stück gerade jetzt zu spielen, ist sehr wichtig."

In goldgelbem Anzug verkörpert Cornelius Obonya Caligula als wandelnden Wahnsinn. Unbegrenzte Macht als Spielwiese der Willkür, provoziert Caligula mit seiner berechnenden Grausamkeit förmlich die Verschwörung gegen ihn.

Albert Camus hat Caligulas Handeln als langsame Selbstzerstörung beschrieben. Ein Selbstmord auf hohem Niveau, so Jan Lauwers: "Er hat das basierend auf der Idee des Absurdismus geschrieben. Er sagte: Das Leben ist Scheiße, aber da muss man durch - also genieße es! Caligula spricht dann von der absoluten Freiheit, aber Freiheit ohne Verantwortung kann es nicht geben. Das ist im Prinzip genau das, was heute in unserem kapitalistischen System passiert: Da nehmen sich einige wenige Freiheiten heraus, ohne Verantwortung zu übernehmen. Darum haben wir eine Finanzkrise! Camus hat also völlig recht und bringt es hier auf den Punkt: Man muss mit Freiheit verantwortungsvoll umgehen, wenn das nicht passiert, führt das zu Diktatur und Horror."

Zutiefst Menschliches

Zugleich zeigt Lauwers aber immer wieder auch die zutiefst menschlichen Seiten Caligulas, den Kaiser zurückgezogen, zweifelnd und verzweifelt.

"Ich versuche die entsetzlichsten Geschichten zu erzählen, aber auf eine menschliche Art und Weise", sagt Lauwers. "Ich glaube sowieso, dass das zutiefst Menschliche etwas vom Faszinierendsten ist, das man auf der Bühne zeigen kann. Und deshalb mag ich auch diesen Raum im Kasino so gerne. Das Publikum sitzt näher am Geschehen, man kann die vierte Wand niederreißen, die Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum irgendwo aufheben und wirklich sagen, lass uns das gemeinsam machen und schauen, was passiert."

Camcorder und Soundkulisse

Für seine "Caligula"-Inszenierung hat Lauwers gemeinsam mit dem Schweizer Künstler Nicolas Field auch eine dichte elektronische Soundkulisse entworfen, die fast durchgehend im Hintergrund zu hören ist und der Inszenierung zusätzlich Dynamik verleiht. Immer wieder nehmen die Schauspieler dabei einen Camcorder zur Hand, filmen sich selbst, zeigen die Emotionen der Figuren, die diese vor Caligula verbergen müssen - Bilder, die direkt auf Bildschirme übertragen werden, die Lauwers auf drei Seiten des Raumes, im Rücken der Zuschauer installiert hat.

"Zum einen wollte ich damit vom Zentrum etwas ablenken", so Lauwers. "Man kann dann als Zuschauer wählen, wohin man schaut. Man muss wählen, und der Zuschauer muss so mitarbeiten. Zum anderen wollte ich damit die Bildsprache aus der Kriegsberichterstattung zitieren. Wenn Journalisten laufen, und die verwackelten Bilder entstehen. Oder auch die Amateurvideos, die man zuletzt aus Syrien oder Libyen gesehen hat. Ich will im Stück damit sagen: Das, was hier auf den Bildschirmen zu sehen ist, das ist die Realität außerhalb Caligulas."

Schon seit 2009 gastiert Jan Lauwers mit seiner Needcompany als Artist in Residence am Wiener Burgtheater. Der sonst als Theaternomade bekannte Künstler scheint in Wien heimisch geworden zu sein. Es sei eine fantastische Zusammenarbeit, so Lauwers, und es gebe auch schon Gespräche über weitere Projekte. Jan Lauwers' nächste Produktion am Wiener Burgtheater "Marketplace 76" ist bereits für Oktober 2012 angekündigt.

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